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S.P.O.N. - Fragen Sie Frau Sibylle Unser Hirn ist gefährlicher als die Homo-Ehe

Der gemeine Sexist fühlt sich angegriffen: In Deutschland verteidigen Katholiken sogenannte Therapien für Schwule, in Frankreich protestieren Hundertausende gegen das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Warum kämpfen sie nicht gegen ihre geistige Beschränktheit?
Demonstration gegen Homo-Ehe (in Paris): Von was fühlt sich der gemeine Sexist bedroht?

Demonstration gegen Homo-Ehe (in Paris): Von was fühlt sich der gemeine Sexist bedroht?

Foto: PIERRE ANDRIEU/ AFP

Gerade sitze ich in Paris, an der Place des Vosges, in diesem Hotel, von dem ich immer annahm, ich würde es mir nie leisten können. Diese eleganten Häuser, vor denen man steht als junger Mensch. Durch Buchsbaumarrangements auf gelbes, warmes Licht schauend und denkend: Das ist für Erwachsene.

Genauso wie ich früher dachte, Theaterregie ist nur für Menschen, die schreien können. Und nun ist die erste Teilregie meines Lebens schon Geschichte und vergessen.

Auf den Champs-Elysées demonstrieren hunderttausend Franzosen gegen die Ehe Homosexueller. Genaue Zahlen weiß keiner, Fanatiker reden von einer Million, Realisten von 300.000. Was ist nur aus meinem Traumbild der reizenden Franzosen geworden? Am 12. Februar hatte die von den Sozialisten dominierte Nationalversammlung klar für die Einführung der Homo-Ehe samt einem gemeinsamen Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare gestimmt. Normal, denke ich, das wird ja Zeit, weiter im Text.

Doch der französische Bürger ist ungehalten. Ehe zwischen Menschen. Das geht ja gar nicht. Da steht er auf, da geht er auf die Straße, da geht er auf die Knie und fleht um Demokratie. Das Problem eines begrenzten Verstandes ist leider nicht nur eines unserer reizenden Nachbarn, bei uns wettern gerade friedliche Katholiken gegen den Grünen Volker Beck. Der mit seiner Partei für ein Verbot von Therapien eintritt, die Jugendliche angeblich von ihrer Homosexualität befreien sollen. "Es gibt in Deutschland zahlreiche Angebote aus der religiös-fundamentalen Ecke, die vorgeben, Homosexuelle von ihrer Orientierung heilen zu können", sagte Beck der "Saarbrücker Zeitung".

Erfolglose Therapien gegen Heterosexualität

Und schon schreien Betroffene wieder empört auf. Also nicht betroffene Homo-, sondern vermutlich betroffene Heterosexuelle, die erfolglose Therapien gegen ihre Heterosexualität hinter sich haben.

Wovon fühlen sich die Gegner der absoluten Gleichberechtigung aller eigentlich bedrängt? Leiden sie so sehr an ihrem eigenen Lebensentwurf, dass sie andere darum bestrafen wollen? Denken sie: Wenn es mir schlecht geht, der ich gesellschaftliche Normen erfülle, dann sollen andere auch keinen Spaß haben? Von was fühlt sich der gemeine Sexist verdammt noch mal bedroht, was ekelt ihn, was macht ihn hassen?

Die Kinderlosigkeit Europas wird nicht dadurch beendet, Homosexuellen die komplette gesellschaftliche Gleichberechtigung gesetzlich zuzugestehen. Den Untergang unserer Kultur, der, wenn sie es nicht geschafft hat, Menschen zum Denken anzuregen, zu Recht erfolgt, wird das Verbot der Homo-Ehe nicht verhindern.

Die eigene Begrenzung der geistigen Möglichkeiten sollte die Menschen weit intensiver beschäftigen als neue Familienmodelle. Unser träges Hirn ist es, das wir fürchten sollten. Hunderttausend Franzosen und eine Milliarde religiöser Fanatiker weltweit gehen auf die Knie und flehen um eine Erweiterung ihrer Hirnkapazität. Sie betteln darum zu begreifen, dass es andere Lebensentwürfe als den eignen gibt, dass wir alle in unserer Dummheit gleichwertig sind.

Das wäre eine Schlagzeile nach meiner Fasson, und ich kniete mich mit auf die Champs-Elysées und bäte um das geistige Vermögen, alle zu verstehen, die anders denken als ich.