Sahra Wagenknechts politische Sammlungsbewegung ist online – ohne Sahra Wagenknecht

Deutschlands neue linke Vereinigung «Aufstehen» verzichtet zum Kampagnenstart auf ihr prominentestes Gesicht. Stattdessen sieht man lauter unbekannte Menschen, die sich Sorgen machen. Gefühliger kann man Politik kaum inszenieren.

Marc Felix Serrao, Berlin
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Wilko wählt immer noch SPD. Richtig glücklich ist der Landschaftsgärtner damit aber nicht. Seit einem gescheiterten Studium arbeitet der junge Mann auf Baustellen, wo er nach eigenen Angaben den Niedergang des deutschen Handwerks beobachtet. Die SPD wähle er eigentlich nur aus Tradition, und auch die Programme der anderen Parteien kenne er nicht, weil ihn Politik ermüde. Aber er ist sicher, dass es ein Fehler seiner Partei war, ein weiteres Mal bei einer grossen Koalition mitzumachen. «Die Leute stehen auf Prinzipien, die stehen auf Richtungen, auf Linien, auf fest vertretene Meinungen», sagt Wilko, «so wie ich das auf der Baustelle halt auch mitbekomme.»

Aufstehen.de ist vorerst eine Sammlung von Testimonials von Menschen, die sich Sorgen machen. (Screenshot)

Aufstehen.de ist vorerst eine Sammlung von Testimonials von Menschen, die sich Sorgen machen. (Screenshot)

Der rote Faden ist die Unzufriedenheit

«Aufstehen» heisst die neue Sammlungsbewegung von Sahra Wagenknecht. Seit diesem Samstag stehen erste Inhalte auf der Website und den flankierenden Konten bei Facebook, Twitter, Instagram und Youtube. Das erste Gesicht, das einen anschaut, ist aber nicht das der bekanntesten linken Politikerin des Landes, sondern Wilkos. In einem viereinhalbminütigen Video sieht man den Landschaftsgärtner laufen, stehen und sitzen. Wüsste man nicht, dass die Fraktionschefin der Linkspartei und ihr Ehemann Oskar Lafontaine hinter diesem Auftritt stecken, käme man kaum auf die Idee, dass es um Politik geht. Der junge Mann könnte auch das Gesicht einer Kampagne der örtlichen Handwerkskammer oder irgendeines Sozialverbandes sein.

Wilkos Video ist eines von achtzehn Testimonials auf der Seite. Es gibt die Journalistin Nada, die syrische Wurzeln hat und sich Sorgen macht, dass Deutschland fremdenfeindlich wird. Es gibt die Rentnerin Margot, die gerade genug Geld hat, um sich und ihren Hund Jack zu ernähren. Es gibt den Studenten Sebastian, der in der Provinz wohnt und über das Handynetz schimpft. Einige Auserwählte haben minutenlange Videos, andere nur eine Fotografie mit Vornamen, Beruf und einer Schlagzeile beigesteuert. Ein Unternehmer zum Beispiel gibt zu Protokoll: «Managergehälter in Millionenhöhe finde ich zum Kotzen.» Der rote Faden ist die Unzufriedenheit, mal über dieses, mal über jenes. «Flaschen sammeln darf keine Lösung sein!», heisst es zwischen zwei Videos. Oder: «Den Bürgern muss zugehört werden!» Es gibt wohl keine Partei, die da widersprechen würde.

Es gibt nicht einmal eine Telefonnummer

Wagenknecht hat für den Auftakt ihrer Bewegung eine Strategie der geringstmöglichen Festlegung gewählt. Es gibt keinen Einleitungstext, kein Programm und keine Prominenten, mit deren Namen sofort bestimmte Positionen verbunden wären. Selbst Wagenknechts Name taucht auf der Website bis jetzt nicht auf. Im Impressum ist von einem «Trägerverein Sammlungsbewegung e. V.» die Rede, der sich noch in Gründung befinde. Selbst die Telefonnummer fehlt; «wird eingerichtet», heisst es. Als Adresse ist eine Anwaltskanzlei am Berliner Kurfürstendamm angegeben. «Aufstehen», diese Bewegung, die Deutschlands politische Landschaft nach der Vorstellung ihrer Erfinderin umpflügen soll, besteht an ihrem ersten Tag aus eineinhalb Dutzend unzufriedenen Menschen und der Aufforderung, seinen Namen und eine E-Mail-Adresse anzugeben.

Mit «Aufstehen» will Sahra Wagenknecht die deutsche Politiklandschaft verändern. (Bild: Reinhard Krause / Reuters)

Mit «Aufstehen» will Sahra Wagenknecht die deutsche Politiklandschaft verändern. (Bild: Reinhard Krause / Reuters)

Wer weiss, vielleicht liegt hierin auch eine Stärke, zumindest für die ersten Wochen, in denen es nur darum geht, Aufmerksamkeit zu generieren, vor allem bei Menschen, die mit der Sprache der etablierten Parteien fremdeln. «Wir fangen als digitale Plattform an», hatte Sahra Wagenknecht im Juni im Interview mit der NZZ angekündigt. Politische Positionen sollen folgen, aber nicht so, wie man es gewohnt ist, sondern «mit witzigen Clips, mit Angeboten auf Facebook und Instagram».

Der Praxistest wird folgen, wenn sie und ihr Team die Kampagne erstmals in analoge Veranstaltungen übertragen, vermutlich im Herbst. Es ist eine Sache, ein paar sorgsam ausgewählte Leute in professionell geschnittenen Videos in Szene zu setzen. Es ist eine andere Sache, sie in Bewegung zu setzen. Dass sie sich bewegen wollen, erkennt man in den Filmchen. Nur: wohin?