Papst Franziskus hat den österreichischen Bischöfen seine Rede anlässlich ihres Ad
Limina-Besuches in Rom zukommen lassen. Wir dokumentieren die Rede hier in voller
Länge und in offizieller Übersetzung.
Liebe Mitbrüder,
ich freue mich,
dass ich durch diese intensive Begegnung mit Euch im Rahmen Eures Ad-limina-Besuchs
von den Früchten der Kirche in Österreich beschenkt werde und dass auch ich ihr etwas
schenken darf. Ich danke Eurem Vorsitzenden Kardinal Schönborn für die zuvorkommenden
Worte, die mir versichern, dass wir den Weg der Verkündigung des Heils Christi gemeinsam
weitergehen. Jeder von uns bildet Christus ab, den einzigen Mittler des Heils, erschließt
der Gemeinde sein priesterliches Wirken den Sinnen nach und hilft somit, die Liebe
Gottes in der Welt immer wieder neu gegenwärtig zu machen.
Acht Jahre ist
es her, dass die Österreichische Bischofskonferenz das letzte Mal aus Anlass des Ad-Limina-Besuchs
zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus gepilgert und zu Konsultationen mit der
Römischen Kurie zusammengetroffen ist. Bei dieser Gelegenheit sind die meisten von
Euch auch meinem geschätzten Vorgänger Benedikt XVI. begegnet, der damals erst wenige
Monate im Amt war. Die unmittelbar folgenden Jahre waren durch eine Sympathie seitens
der Österreicher für die Kirche und für den Nachfolger Petri geprägt. Das zeigte sich
beispielsweise beim Papstbesuch anlässlich des 850-Jahr-Jubiläums des Heiligtums von
Mariazell im Jahr 2007 mit der trotz der Wetterunbilden überaus herzlichen Aufnahme
durch die Bevölkerung. Es folgte dann für die Kirche eine schwierige Phase, deren
Symptom unter anderem ein rückläufiger Trend beim Anteil der Katholiken an der österreichischen
Gesamtbevölkerung ist. Dieser Trend hat verschiedene Ursachen und hält schon seit
mehreren Jahrzehnten an. Die Entwicklung darf uns nicht tatenlos sehen, sondern muss
im Gegenteil unser Bemühen um die stets notwendige neue Evangelisierung anfachen.
Auf der anderen Seite ist ein ständiger Zuwachs der Solidarität zu beobachten, Caritas
und andere Hilfswerke werden mit großzügigen Gaben bedacht. Auch der Beitrag der kirchlichen
Einrichtungen im Bereich der Erziehung und Gesundheit wird allseits geschätzt und
stellt einen nicht wegzudenkenden Teil der Gesellschaft Österreichs dar.
Wir
dürfen Gott dankbar sein für das, was die Kirche in Österreich zum Heil der Gläubigen
und zum Wohl vieler Menschen wirkt, und ich selber möchte jedem von Euch und durch
Euch den Priestern, Diakonen, Ordensleuten und engagierten Laien, die bereitwillig
und großherzig im Weinberg des Herrn arbeiten, meinen Dank aussprechen. Wir dürfen
aber nicht das Erreichte und Vorhandene bloß verwalten, das Feld Gottes muss ständig
bearbeitet und bestellt werden, damit es auch in Zukunft Frucht bringt. Kirche sein
heißt nicht verwalten, sondern hinausgehen, missionarisch sein, den Menschen das Licht
des Glaubens und die Freude des Evangeliums bringen. Vergessen wir nicht, dass die
Triebfeder unseres Einsatzes als Christen in der Welt nicht die Idee einer Menschenfreundlichkeit,
eines unbestimmten Humanismus ist, sondern eine Gabe Gottes, nämlich das Geschenk
der Gotteskindschaft, die wir in der Taufe erhalten haben. Und diese Gabe ist zugleich
ein Auftrag. Kinder Gottes verstecken sich nicht, sie tragen die Freude ihrer Gotteskindschaft
in die Welt hinaus. Und das bedeutet auch, sich darum zu bemühen, ein heiligmäßiges
Leben zu führen. Das sind wir zudem der Kirche schuldig, die, wie wir im Glaubensbekenntnis
bezeugen, heilig ist. Sicher, »die Kirche umfasst Sünder in ihrem eigenen Schoß«,
wie es das Zweite Vatikanische Konzil formuliert (Lumen gentium, 8). Aber das Konzil
sagt an der gleichen Stelle, dass wir uns nicht mit der Sünde abfinden sollen, dass
nämlich »Ecclesia sancta simul et semper purificanda«, die heilige Kirche immer wieder
zu reinigen ist. Und das heißt, dass wir um unsere eigene Reinigung – im Sakrament
der Versöhnung – stets bemüht sein sollten. Die Beichte ist der Ort, wo wir Gottes
barmherzige Liebe erfahren und Christus begegnen, der uns die Kraft zur Umkehr und
zum neuen Leben gibt. Und wir wollen als die Hirten der Kirche den Gläubigen beim
Wiederfinden dieses wunderbaren Sakraments einfühlsam und verständnisvoll zur Seite
stehen und ihnen gerade in dieser Gabe die Liebe des Guten Hirten spüren lassen. So
bitte ich Euch, werdet nicht müde, die Menschen zur Begegnung mit Christus im Sakrament
der Buße und der Versöhnung einzuladen.
Ein wichtiges Feld unseres Wirkens
als Hirten ist die Familie. Sie ist ein Herzensanliegen der evangelisierenden Kirche.
»Die christliche Familie ist ja die erste Gemeinschaft, der es obliegt, dem heranwachsenden
Menschen das Evangelium zu verkünden und ihn durch eine fortschreitende Erziehung
und Glaubensunterweisung zur vollen menschlichen und christlichen Reife zu führen«
(Familiaris consortio, 2). Der Grund, auf dem sich ein harmonisches Familienleben
entfalten kann, ist dabei vor allem die eheliche Treue. Leider sehen wir in unserer
heutigen Zeit, dass in den Ländern der westlichen Welt die Ehe und die Familie eine
tiefe innere Krise durchmachen. »Im Fall der Familie wird die Brüchigkeit der Bindungen
besonders ernst, denn es handelt sich um die grundlegende Zelle der Gesellschaft,
um den Ort, wo man lernt, in der Verschiedenheit zusammenzuleben und anderen zu gehören,
und wo die Eltern den Glauben an die Kinder weitergeben« (Evangelii gaudium, 66).
Die Globalisierung und der neuzeitliche Individualismus fördern einen Lebensstil,
der die Entwicklung und die Stabilität der Bindungen zwischen den Menschen sehr erschwert
und der Entfaltung einer Kultur der Familie nicht günstig ist. Hier tut sich ein neues
Missionsgebiet für die Kirche auf, z. B. in Familienkreisen, wo Raum geschaffen wird
für Beziehungen unter Menschen und Beziehungen mit Gott, wo eine echte Gemeinschaft
wachsen kann, die jeden auf gleiche Weise annimmt und sich nicht in Elitegruppen einschließt,
die Wunden heilt, Brücken baut, sich wirklich auf die Suche nach den Fernstehenden
macht und mithilft, dass »einer des anderen Last trage« (Gal 6,2).
Die Familie
ist also ein vorrangiger Ort der Evangelisierung und der lebendigen Weitergabe des
Glaubens. Tun wir alles, damit in unseren Familien gebetet wird, der Glaube als Teil
des täglichen Lebens erfahren und weitergegeben wird. Die Sorge der Kirche um die
Familie beginnt mit einer rechten Vorbereitung und Begleitung der Eheleute wie auch
mit der getreuen und klaren Darlegung der kirchlichen Lehre zu Ehe und Familie. Als
Sakrament ist die Ehe Geschenk Gottes und Auftrag zugleich. Die Liebe zweier Brautleute
wird durch Christus geheiligt, und die Partner sind dazu aufgerufen, diese Heiligkeit
durch ihre Treue zueinander zu bezeugen und zu pflegen.
Ausgehend von der
Familie, der Hauskirche, wenden wir uns kurz der Pfarrei zu, dem großen Feld, welches
der Herr uns anvertraut hat, um es mit unserer seelsorglichen Arbeit fruchtbar zu
machen. Die Priester, die Pfarrer sollten sich immer wieder bewusst machen, dass ihre
Leitungsaufgabe ein zutiefst geistlicher Dienst ist. Es ist immer der Pfarrer, der
die Pfarrgemeinde leitet, wobei er zugleich auf die Unterstützung und den wertvollen
Beitrag verschiedener Mitarbeiter und aller Gläubigen zählt. Wir sollten nicht Gefahr
laufen, den sakramentalen Dienst des Priesters zu verdunkeln. In unseren Städten und
Dörfern gibt es mutige und schüchterne Menschen, gibt es missionarische und schlafende
Christen. Und es gibt die vielen, die auf der Suche sind, auch wenn sie es sich nicht
eingestehen. Jeder ist gerufen, jeder ist gesandt. Aber es ist nicht gesagt, dass
der Ort dieses Rufs nur das Pfarrzentrum ist. Es ist nicht gesagt, dass sein Moment
notwendig die gemütliche Pfarrveranstaltung ist. Der Ruf Gottes kann uns genauso erreichen
am Fließband und im Büro, im Supermarkt, im Stiegenhaus, also an den Orten des alltäglichen
Lebens.
Von Gott reden, die Botschaft von der Liebe Gottes und der Erlösung
in Jesus Christus zu den Menschen bringen, ist Aufgabe eines jeden Getauften. Und
diese umfasst nicht nur das Sprechen mit Worten, sondern alles Handeln und Tun. Unser
ganzes Dasein muss von Gott reden, selbst in den unscheinbaren Dingen. Dann ist unser
Zeugnis echt, dann wird es auch in der Kraft des Heiligen Geistes stets neu und frisch
sein. Damit dies gelingt, muss die Rede von Gott zuallererst Rede mit Gott sein, Begegnung
mit dem lebendigen Gott in Gebet und Sakrament. Gott lässt sich nicht nur finden,
sondern er macht sich in seiner Liebe selbst auf, dem Suchenden entgegenzugehen. Der
Mensch, der sich an die Liebe Gottes klammert, versteht, die Herzen der anderen für
die göttliche Liebe zu öffnen, um ihnen zu zeigen, dass nur in der Gemeinschaft mit
Gott das Leben in Fülle ist. Gerade in unserer Zeit, wo wir zu einer »kleinen Herde«
(Lk 12,32) zu werden scheinen, sind wir als Jünger des Herrn berufen, als eine Gemeinschaft
zu leben, die Salz der Erde und Licht der Welt ist (vgl. Mt 5,13-16).
Maria,
die unsere Mutter ist und die Ihr als Magna Mater Austriae besonders verehrt, sie
helfe uns dabei, damit wir wie sie uns ganz dem Herrn öffnen und so fähig sind, anderen
den Weg zum lebendigen und Leben spendenden Gott zu erschließen.