WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Politik
  3. Ausland
  4. Vetreibung der Christen im Irak durch IS

Ausland Irak

Christliche Brigade bringt sich in Stellung gegen IS

Korrespondent für Kriegs- und Krisengebiete
Eine irakische Christin hält ein Kreuz in der Hand während einer Messe in Amman für den Frieden der Christen in Gaza , Irak und Syrien Eine irakische Christin hält ein Kreuz in der Hand während einer Messe in Amman für den Frieden der Christen in Gaza , Irak und Syrien
Eine irakische Christin hält ein Kreuz in der Hand während einer Messe in Amman für den Frieden der Christen in Gaza , Irak und Syrien
Quelle: REUTERS
Iraks Christen werden systematisch von Islamisten verfolgt. Tausende wollen sich nun mit Gewalt wehren. Die christliche Brigade Babylon ist bereit, die Heimat „bis zum bitteren Ende“ zu verteidigen.

Vorneweg trägt ein Mann das Bild vom letzten Abendmahl – Jesus am Tisch mit seinen Jüngern. Dahinter folgen mit wenigen Schritten Abstand Soldaten, Offiziere und Sympathisanten der christlichen Brigade Babylon. Man trägt Pistolen im Schulterhalfter und Maschinengewehre in der Hand. Mit diesem Aufmarsch im Bagdader Stadtteil al-Karada will man Entschlossenheit und Stärke demonstrieren: Man ist bereit, seinen Glauben zu verteidigen und notfalls auch dafür sein Leben zu lassen. Gerade jetzt, da die Existenz des Christentums wie nie zuvor im Irak auf dem Spiel steht.

„Wir sind die älteste Bevölkerung des Landes“, erklärt Ryan al-Kaldeny, der Kommandeur der Brigade Babylon, der mit schwarzem Turban, Sonnenbrille und Kalaschnikow in der ersten Reihe marschiert. „Nun kommen diese Terroristen und wollen uns aus dem Irak vertreiben, der eigentlich uns gehört.“ Das könne man nicht zulassen. Im normalen Leben ist al-Kaldeny ein Geschäftsmann, der Anzug und Krawatte trägt. „Jetzt ist Uniform angesagt“, betont der 35-Jährige. „Schließlich befinden wir uns im Krieg.“

Mit Terroristen meint der Kommandeur den IS (Islamischer Staat, früher Isis). Die extrem puritanische Islamistengruppe hat mithilfe lokaler Stämme sowie Ex-Militärs der Armee Saddam Husseins binnen weniger Wochen große Teile des Landes besetzt und steht vor den Toren der irakischen Hauptstadt. „Diese Terroristen wollen nicht nur die Regierung in Bagdad stürzen, sie haben es besonders auf Christen abgesehen“, erzählt al-Kaldeny nach der Parade in seinem Büro im Hauptquartier der Brigade Babylon. An den Wänden hängen auch hier Bilder des letzten Abendmahls, dazu einige Kruzifixe, und in einer Ecke steht eine Marienstatue.

„Gezielte Verschwörung und Vertreibungspolitik“

„Es ist eine gezielte Vertreibungspolitik, die der IS verfolgt“, fährt der Kommandeur fort, „die man am Beispiel von Mossul klar erkennen kann.“ Die irakische Grenzstadt zu Syrien im Norden des Landes war am 10. Juni vom IS eingenommen worden. Die radikalen Islamisten forderten die Christen auf, entweder zum Islam zu konvertieren oder Schutzzölle (Dschizya) zu bezahlen. Ansonsten drohe die Todesstrafe. Vor zwei Wochen sprengte der IS das Grab Jonas’ in die Luft, der sowohl im Islam wie im Christentum als Prophet gilt.

„Natürlich flohen alle in Mossul verbliebenen Christen“, sagt al-Kaldeny hinter seinem großen, antiken Schreibtisch. „An den Checkpoints wurden sie alle ausgeraubt. Geld, Schmuck, Autos und sogar Telefone nahm man ihnen ab. Ob alt oder jung, Frauen oder Kinder, viele mussten bei sengender Hitze stundenlang zu Fuß gehen, um in Sicherheit zu kommen.“

Für den 35-Jährigen ist die Vertreibung der Christen aus Mossul das Resultat einer gezielten Verschwörung. „Viele Einwohner, von denen wir dachten, man könnte ihnen vertrauen, kooperierten mit dem IS und verrieten ihre Nachbarn“, erklärt al-Kaldeny. „Darunter sind auch muslimische Geistliche, die mit den Islamisten kollaborierten und von den Moscheen aus die Christen aufriefen, die Stadt zu verlassen, oder sie würden getötet.“ Einige der Verräter hätten in Kontakt mit den Checkpoints gestanden. „An den Kontrollpunkten wartete man schon auf die Christen, um sie systematisch auszunehmen“, fügt al-Kaldeny mit einem wissenden Blick an, als sei alles tatsächlich von langer Hand geplant gewesen.

Auf die Ereignisse von Mossul sei die Miliz Babylon nicht vorbereitet gewesen. Alles sei so schnell und überraschend passiert. „Nun sind wir jedoch restrukturiert, an allen Fronten präsent, und ständig bekommen wir neue Rekruten“, versichert der Kommandant. Von den zurzeit insgesamt 2500 Mann der Brigade seien 900 in Bagdad stationiert, der Rest an den „Brennpunkten“, wie es al-Kaldeny formuliert.

Statt Fronteinsatz Unterkünfte für christliche Flüchtlinge

Die Stadt Mossul, in der vor der Besetzung durch den IS 25.000 Christen lebten, wolle man unbedingt zurückerobern. „Wir werden zusammen mit der irakischen Armee angreifen und dort möglichst bald wieder ein normales Leben für Muslime und Christen herstellen.“ Bis es dazu kommt, wird wohl noch einige Zeit vergehen, selbst wenn al-Kaldeny behauptet, es wird „in den nächsten Tagen losgehen“.

Bisher konnte die irakische Armee keine nennenswerten Erfolge gegenüber dem IS erzielen. Selbst die schiitischen Eliteeinheiten, mit denen die Brigade Babylon eng kooperiert, konnten die Islamisten nicht zurückdrängen. Immerhin hat Iraks Premier Nuri al-Maliki nun angekündigt, Luftangriffe gegen die Islamisten zu fliegen. In der Stadt Tikrit, dem Geburtsort des Diktators Hussein, blieben zwei „Großoffensiven“ gegen den IS ohne Ergebnis.

Anzeige

Zudem liegen die meisten der christlichen Dörfer und Städte auf dem Gebiet der autonomen Region Kurdistans (KRG). Die kurdische Regierung in Erbil toleriert bisher keine Privatmilizen auf eigenem Boden. „Wir unterstützen die kurdischen Truppen“, sagt al-Kaldeny zwar, aber es ändere nichts an der Tatsache, dass die Soldaten von Babylon in seinem Teil nicht kämpfen dürfen.

Statt Fronteinsatz organisiert man Unterkünfte für christliche Flüchtlinge. In Bagdad sind Einwohner aus Mossul in Kirchen und Schulen untergebracht. Sie liegen in Dora, einem sunnitisch-christlich gemischten Stadtteil. Hier werden christliche Einrichtungen von der Brigade Babylon rund um die Uhr bewacht. Trotzdem kann es jederzeit zu Anschlägen kommen. Eine umfassende Kontrolle ist in der nach Kairo zweitgrößten arabischen Stadt mit über sieben Millionen Einwohnern nicht möglich.

„Überall kann es nur besser sein als im Irak“

Die Stimmung innerhalb der christlichen Gemeinde ist gespannt. „Für uns gibt es keine echte Sicherheit“, sagt Alfred Paulus, ein 25-jähriger Student. In den nächsten Tagen wird er mit seiner gesamten Familie den Irak verlassen. Das Geschäft für Klimaanlagen und das Haus der Familie sind bereits verkauft. Man will zuerst in die Türkei und dann mal sehen, wohin einen das Schicksal führt. „Überall kann es nur besser sein als im Irak“, sagt Paulus, der selbst gerne in Australien leben möchte. „Ich kenne das Land nur aus dem Fernsehen, aber ich habe Freunde dort, und die sagen, es ist gut.“

Vor vier Jahren war ihm und seiner Familie zum ersten Mal der Gedanke an die Auswanderung gekommen. Der Auslöser war ein Anschlag auf die Marienkathedrale von Bagdad. Am 31. Oktober 2010 hatte der IS (damals hieß er noch der Islamische Staat im Irak und Syrien, kurz: Isis) über 100 Gottesdienstbesucher als Geiseln genommen. Bei der Befreiungsaktion durch irakische Spezialeinheiten kamen 58 Menschen ums Leben.

„Danach waren wir hin- und hergerissen, ob wir tatsächlich gehen sollten oder nicht“, erinnert sich Paulus. „Aber dann kam Weihnachten letztes Jahr, und unsere Abreise war besiegelt.“ Die Rede ist von den Bombenattentaten am 25. Dezember 2013. In Dora explodieren zuerst zwei Autobomben auf einem Markt unweit der St.-Johann-Kirche. Wenige Minuten später detoniert das dritte Auto direkt vor der Kirche, als die Gläubigen nach dem Ende der Messe ins Freie strömen. An diesem Weihnachtsfeiertag sterben insgesamt 38 Menschen, 70 weitere werden zum Großteil schwer verletzt. „Da wussten wir, es ist an der Zeit zu gehen“, sagt Paulus.

Aber es seien nicht nur die Anschläge, fügt der 25-Jährige an, die das Leben von Christen unzumutbar machten. „Jeden Tag kann man einen Zettel unter seiner Türe finden, auf dem steht, man soll aus dem Haus verschwinden oder wird getötet“, berichtet Paulus. Seinen Freunden sei das passiert, und einige davon habe man erschossen. „Früher lebten Sunniten und Christen friedlich zusammen, nun werden die Christen vertrieben“, stellt Paulus resignierend fest. „Im Stadtteil Dora lebten überwiegend Christen, nun sind wir in der Minderheit. So geht das.“

Gewalt ist nicht der Weg der Kirche

Bis zur US-Invasion 2003, die Diktator Saddam Hussein und sein Regime zu Fall brachte, lebten über 1,5 Millionen Christen im Irak. Heute sollen es nach Schätzungen nicht einmal mehr 200.000 sein. Der überwiegende Teil davon wohnt in der Hauptstadt Bagdad. „Man kann heute keine verlässlichen Zahlen nennen“, sagt Vater Mansur, der der griechisch-katholischen Gemeinde in Bagdad vorsteht. „Jeden Tag wandern Familien aus, die keine Zukunft mehr im Irak sehen.“ Angesichts der Sicherheitslage könne man es ihnen nicht verdenken, erklärt der aus Belgien stammende Geistliche, der sein Alter vergessen haben will, aber so um die 80 Jahre alt sein muss. „Es klingt bedrückend“, fährt Vater Mansur fort, „aber man kann hier vom nahenden Ende des Christentums sprechen.“

Anzeige

Von christlichen Milizen hält er wenig, denn Gewalt sei nicht der Weg der Kirche. Der Priester führt dagegen Seminare durch, in denen das gesamte Kulturerbe der Region gelehrt werde. „Wir unterrichten das ganze Spektrum, von persischen Märtyrern über armenische Kunst oder assyrische Inschriften“, klärt Vater Mansur auf. Aus den Ergebnissen der Studien werden Bücher publiziert. „Die Leute, die hier bleiben, müssen wissen, warum und wofür sie das tun“, meint der Geistliche und zeigt auf ein volles Bücherregal, in dem aneinandergereiht die Früchte seiner 40-jährigen Amtszeit stehen. Danach entschuldigt sich Vater Mansur, er müsse jetzt gehen. „Der Unterricht fängt gleich an, meine Schüler warten schon.“

Der Kommandeur der Brigade Babylon hat gegen den friedlichen Weg der Kirche natürlich nichts einzuwenden. Aber al-Kaldeny will dem Exodus der Christen nicht tatenlos zusehen und einfach die „Hände in den Schoß legen“, wie er sagt. Er denke nicht daran, auszuwandern und das Land seiner Väter aufzugeben. Im Gegenteil. „Wir werden uns bis zum bitteren Ende verteidigen“, betont er unmissverständlich. Und sollten die Christen aus Bagdad und den anderen Gebieten im Irak vertrieben werden, hat al-Kaldeny bereits eine Lösung parat. „Unser letzter Plan ist die Errichtung einer autonomen Provinz auf dem Gebiet Kurdistans.“ Es wäre eine neue Heimat für Christen, aber auch alle anderen religiösen Minderheiten, die von den radikalen Islamisten verfolgt würden. „Die Vertreibung der Christen ist ein abscheuliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, sagt al-Kaldeny abschließend, „und wir werden das nie tolerieren.“

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema