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Kunst und Architektur Die Borgias

Bunt trieben es die alten Päpste

In der Ausstellung: Tizians „Papst Alexander VI. führt Jacopo Pesaro vor Sankt Peter“ In der Ausstellung: Tizians „Papst Alexander VI. führt Jacopo Pesaro vor Sankt Peter“
In der Ausstellung: Tizians „Papst Alexander VI. führt Jacopo Pesaro vor Sankt Peter“
Quelle: Lukas-Art in Flanders vzw, photo Hugo Maertens
Sex, Macht und Amen: Diese Klischees haften der Renaissance-Familie Borgia an. Eine Pariser Ausstellung räumt mit ein paar Legenden auf. Die Sensation ist ein neu entdecktes Werk von Michelangelo.

Eine glaubwürdige Anekdote behauptet, der Borgia-Papst Alexander VI. habe den umbrischen Meister Pinturicchio vor allem deswegen mit der Ausmalung seiner Gemächer im Vatikan beauftragt, weil der Künstler taub war. Die Zeitgenossen des Renaissancefürsten waren sehr an seinen mehr oder weniger schrecklichen Geheimnissen interessiert, und die Nachwelt ebenso. Sein Zeremonienmeister Johannes Burckhard posaunte alles und noch mehr aus, und das Fernsehen schließlich brachte den miserablen Ruf des Papstes und die Ausschweifungen seiner berüchtigten Kinder Lucrezia und Cesare auf die denkbar knappste Formel: „Die Borgias – Sex. Macht. Mord. Amen.“ So lautet der Titel der US-Serie, die 2011 kurz nach der europäischen Produktion „Borgia“ auch im deutschen Fernsehen lief.

Das faszinierend schlechte Image der Borgia-Familie versuchten schon Voltaire oder Gregorovius zu relativieren. Es half nichts.

Die beiden Serien sind die bisher letzten in einer langen Reihe von Zeugnissen der „Borgiamania“, zu der jetzt auch die Ausstellung im Pariser Maillol-Museum gehört. Sie bemüht sich dabei, das Bild der Protagonisten zurechtzurücken. Das eigentliche Ereignis allerdings liegt in der Präsentation der Terracotta-Skulptur eines Vesperbilds, das 2003 bei Bologna von einem an der perfekten Muskulatur der Christusfigur interessierten Chirurgen entdeckt, restauriert und jüngst (wie das ebenfalls ausgestellte kleine hölzerne Kruzifix mit einem vollkommen nackten Christus) dem jungen Michelangelo zugeschrieben wurde. Es gilt als Modell der im Petersdom aufgestellten Pietà (1498).

Das Werk ist in Paris erstmals öffentlich zu sehen – „wir wollten sie hier einem internationalen Publikum vorstellen“, sagt der Kunsthistoriker Roy Doliner, von dem die erste begründete Zuschreibung stammt. Michelangelo trennte sich nie von dem Entwurf und vermachte ihn seinem Vertrauten Antonio Basoja. Die weitere Geschichte ist offenbar außerordentlich gut belegt. Aber nach 1610 verlor sich die Spur des Kunstwerks, das schließlich bei einem Antiquitätenhändler, unter neun Farbschichten verborgen und in einem verschimmelten Karton abgestellt, wieder auftauchte.

Den Ruf der dreimal verheirateten Lucrezia Borgia haben die Historiker längst wiederhergestellt
Den Ruf der dreimal verheirateten Lucrezia Borgia haben die Historiker längst wiederhergestellt
Quelle: © Florent Gardin/MBA-Nîmes

Mit den Borgia verbindet dieses Meisterwerk nur der Zeitpunkt seiner Entstehung. Das gilt auch für die wunderbaren Gemälde von Mantegna, Giovanni Bellini, Luca Signorelli, Andrea del Verrocchio oder Dosso Dossi in dieser Ausstellung. Immerhin bezeugen sie, wie wichtig zwischen Venedig und Neapel, Urbino und Mantua, Mailand und Ferrara die Kunst als Ausdruck von Macht und Prestige geworden war. Der Borgia-Papst engagierte den Bildhauer Andrea Bregno oder den Maler Piermatteo d’Amelia. Er konnte zwar weder mit seinem Freund Lorenzo de Medici „dem Prächtigen“ in Florenz mithalten noch mit seinem Erzfeind und Nachfolger Julius II della Rovere, der ihn mit Bramante, Michelangelo und Raffael in den Schatten stellte. Ausstellung und Katalog bemühen sich aber, Alexander nicht nur als Verteidiger des Papsttums inmitten historischer Umwälzungen zu zeigen. Sie belegen auch, dass er die künstlerische und urbanistische Erneuerung Roms vorantrieb, von dessen Glanz nach dem Exil der Päpste in Avignon und dem Großen Abendländischen Schisma wenig übrig war.

Das faszinierend schlechte Image der Borgia-Familie versuchten schon Voltaire oder Gregorovius zu relativieren. Es half nichts. Bereits bei den Zeitgenossen stand das Urteil über die „Katalanen“ fest. Rivalen und Reformatoren hatten daran Interesse. Am meisten aber dürften die Romantiker wie Victor Hugo oder Alexandre Dumas beigetragen haben. Zuletzt folgten die Comic-Autoren Jodorowski und Manar sowie der japanische Manga-Zeichner Fuyumi Soryo. Seit Stummfilmtagen haben sich rund vierzig Filme über die Borgias angesammelt, darunter ein Werk von Abel Gance – mit Edwige Feuillière in einer kurzen skandalösen Nacktszene und Antonin Artaud als Savonarola.

Die Hälfte der Filme sind italienische Produktionen, und meistens geht es um Lucrezia. Früh nahm die Lucrezia-Begeisterung fetischistische Züge an. 1816 hatte Lord Byron sich gar gerühmt, ein Haar aus der blonden Strähne entwendet zu haben, die in der Mailänder Biblioteca Ambrosiana in den Briefwechsel der Papsttochter mit ihrem Verehrer, dem Humanisten und späteren Kardinal Pietro Bembo eingelegt waren. Die Reliquie, 1928 geschmackvoll in eine Monstranz eingefasst, ist in Paris neben den Kostümen der „Borgia“-Serie ausgestellt.

Leonardo verbesserte für Cesare die Waffentechnik

Die Ausstellung zeigt einige der bekanntesten Porträts der Protagonisten – auch wenn die Identifikation der Porträtierten oft unsicher ist: Zuerst das Bildnis von Calixt III., der als Erster auf den Stuhl Petri gelangte und seinen Neffen Rodrigo aus Spanien nach Rom holte. Der erlangte als Zweiter und Letzter aus der Familie im Zeitenwende-Jahr 1492 unter dem Namen Alexander VI. diese Würde. Alexanders Bildnis von Juan de Juanes hängt gegenüber Tizians „Papst Alexander VI. führt Jacopo Pesaro vor Sankt Peter“. Ein anderes Gemälde stellt vermutlich Vannozza Cattanei dar, Mutter zweier der berühmtesten Kinder Rodrigos.

Der „gentiluomo“ von Altobello Melone soll Cesare sein. Erst Kardinal, dann Herzog, Mörder des Mannes und des Geliebten seiner Schwester, von Machiavelli bewundert, Dienstherr Leonardos, der für Cesare die Waffentechnik verbesserte, führte der skrupellose Condottiere Krieg zur Begründung eines ephemeren Familienfürstentums in der Romagna und starb dreißigjährig in einer Schlacht fern von Italien.

Diese Bildnis eines jungen Edelmanns von Altobello Melone zeigt vermutlich Cesare Borgia
Diese Bildnis eines jungen Edelmanns von Altobello Melone zeigt vermutlich Cesare Borgia
Quelle: © Archivio fotografico Accademia Carrara

Lucrezia schließlich, von Historikern oft rehabilitiert, dreimal verheiratet und zweimal verwitwet, diente der Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Als Herzogin von Ferrara sei sie eine nicht unbedeutende Mäzenatin gewesen, darin allerdings weit hinter ihren Verwandten Isabella d’Este in Mantua und Elisabetta Gonzaga in Urbino zurückstehend.

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Ob es wirklich Lucrezia ist, die da auf der Kopie eines verlorenen Gemäldes nach Bartolomeo Veneto zu sehen ist, gilt als fraglich. Ebenso ungesichert ist die Identifizierung der „Dame mit dem Einhorn“ als Giulia Farnese, der über vierzig Jahre jüngere Geliebten des Papstes, auf einem Luca Longhi zugeschriebenen Bild. Mit Sicherheit von Raffael stammt dagegen das Bild von Giulias Bruder Alexander, dem der verliebte Papst die Kardinalswürde verlieh und dem er damit den Weg auf den Stuhl Petri unter dem Namen Paul III. ebnete.

Die gesichertsten Porträts des Borgia-Clans dürften in den 1492 bis 1494 entstandenen Fresken Pinturiccios in den Borgia-Gemächern des Vatikans zu finden sein – Lucrezia etwa als Heilige Katharina von Alexandria. Pinturicchio malte auch ein Fresko mit „Alexander VI. in Anbetung der Heiligen Jungfrau mit Kinde“ – und soll der Muttergottes dabei die Züge von Giulia Farnese gegeben haben. Schon Vasari hatte Mitte des 16. Jahrhunderts auf das Skandalbild hingewiesen.

Den Feinden der Farnese-Familie schien dies ein Beleg für deren unwürdige Anfangserfolge: Daher ließ der Herzog von Mantua, als er 1612 von dem Werk erfuhr, heimlich eine beweissichernde Kopie anfertigen – während das Original von Alexander VII., der zur allgemeinen Überraschung 150 Jahre nach dem Tod seines ruchlosen Vorgängers wieder dessen Namen annahm, zerstört wurde. Er ließ Jesuskind und Jungfrau von der Wand ablösen und getrennt rahmen. Erst 1940 und wieder 2004 wurden die beiden Bilder der Kopie des Gesamtgemäldes zugeordnet.

Auch Pinturiccios segnendes Jesuskind ist jetzt als Leihgabe in Paris. Es scheint, wie die Ausstellung, dem ausgelöschten Papst großzügig die Absolution zu erteilen.

Bis 15. Februar

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