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Berlin & Brandenburg Taizé-Treffen

30.000 Jugendliche suchen den "Spirit der Stadt"

Taizé-Treffen Berlin 2011 Taizé-Treffen Berlin 2011
In den Messehallen treffen sich Zehntausende junger Christen aus ganz Europa
Quelle: Reto Klar/Reto Klar
Für das Taizé-Gefühl strömen junge Christen aus Paris, Zagreb und Amsterdam strömen nach Berlin. Sie sind gekommen, um zu beten.

Für das Taizé-Gefühl strömen junge Christen aus Paris, Zagreb und Amsterdam strömen nach Berlin. Sie sind gekommen, um zu beten.

Heerscharen von jungen Menschen mit Rollkoffern, Taschen und Rucksäcken stehen am Mittwochmorgen am Kaiserdamm. Immer wieder halten Busse aus Frankreich, Belgien, Holland, Bosnien-Herzegowina und Kroatien, um ihre müden Passagiere abzusetzen. Noch ist es dunkel, es ist gerade einmal sieben Uhr.

Geduldig warten die Jugendlichen auf Instruktionen. So wie Iva Boras (21), die mit ihrem Bruder Josip (23) und ihrer Freundin Ana Antonowic (21) nach 24 Stunden Busfahrt aus Zagreb gerade in Berlin eingetroffen ist. Helfer lotsen die Gäste ins nahe Oberstufenzentrum Recht an der Danckelmannstraße, das eines von acht Verteilzentren für den Ansturm der Jugendlichen aus aller Welt zum Taizé-Treffen ist. Dort im Hof können sie schon einmal das Gepäck deponieren, bevor es nach einer halben Stunde endlich ins warme Schulhaus geht.

Das Treffen der ökumenischen Glaubensgemeinschaft von Taizé, das am Mittwoch begann und noch bis Sonntag dauert, hat insgesamt 30.000 junge Christen aus 70 Ländern nach Berlin gelockt. Die meisten sind zwischen 17 und 30 Jahre alt. 10.000 kommen aus Deutschland, 6000 aus Polen und je 2000 allein aus Frankreich, Italien, Kroatien und der Ukraine. Sie kommen aus allen europäischen Ländern, aber auch aus Hongkong und Neuseeland. Am Mittwochabend wurde es offiziell mit einem gemeinsamen Gebet auf dem Messegelände eröffnet.

In Berlin konnten im Gegensatz zu den Treffen in den Vorjahren nur 80 Prozent der Teilnehmer in Privatquartieren untergebracht werden. Der Rest übernachtet in Sammelunterkünften.

In der Schulklasse erhalten die Gäste in ihrer Muttersprache zunächst eine kurze Einführung zum Treffen, außerdem einen Stadtplan und ein kostenloses Ticket für die öffentlichen Verkehrsmittel. Und nach zwei Stunden Warten wissen Iva und die anderen aus ihrer Gruppe auch endlich, in welcher der 160 Kirchengemeinden sie in Empfang genommen werden. Mit U-Bahn und Bus fahren sie über den Bahnhof Zoo ("Spielt hier die Geschichte um Christiane F?", fragen sie) nach Lankwitz zur Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde, wo viele Gasteltern bereits warten.

Annika Brunz (27) hat sich sogar mit dem Rad auf den Weg zur Bushaltestelle gemacht und ruft schon von Weitem: "Taizé?" Die Freude über die Ankunft der Gäste ist groß, sie sollen sich nicht verlaufen. Fürsorglich hat das Team um Sabine Downey, Uli Kirsch und Sabine Kirschke das Gemeindehaus einladend geschmückt. Hier werden sich die Jugendlichen jeden Morgen zum Gebet treffen.

Viele können zwar ein wenig Deutsch, einfacher ist die Verständigung aber auf Englisch. Kerzen stehen auf den Tischen, es gibt heißen Kaffee und Tee, die Brötchen sind geschmiert. Die Herzlichkeit ist auf beiden Seiten in vielen kleinen Gesten spürbar. So lädt die kroatische Gruppe auch die Berliner gleich ein, den aus der Heimat mitgebrachten Schinken zu kosten.

Nach der Begrüßung und der Stärkung warten die jungen Leute jetzt darauf zu erfahren, wo sie wohnen werden. Sie haben Glück: Da sie die erste Gruppe sind, werden alle in Privatquartieren unterkommen. Ana ist froh, sie studiert Soziologie und will möglichst viele "richtige Berliner" kennenlernen.

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75 Plätze haben die Gemeindemitglieder insgesamt für die Gäste aus der Ukraine, Weißrussland, Polen, Deutschland und Frankreich zur Verfügung gestellt. 45 Gäste werden jedoch in der Turnhalle der Kita und in einem Gemeinderaum schlafen.

Sabine Downey, Pfarrerin im Ruhestand, erklärt sich das mit dem säkularen, dem weltlichen oder auch unchristlichen Charakter Berlins. Schließlich seien weniger als die Hälfte der Berliner Mitglied einer Kirchengemeinde. Oft habe sie auch gehört, dass der Zeitpunkt ungünstig sei.

Viele hätten selbst Besuch oder seien verreist. Auch Bruder Ulrich, der seit über 25 Jahren im Taizé-Kloster in Frankreich lebt und jetzt in Berlin das Treffen mitorganisiert, erklärt sich die Tatsache, dass in Berlin nicht alle in Privatquartieren unterkommen konnten, damit, dass die Kirche in Berlin nicht so stark vertreten ist. "Erstaunlich viele Familien, die gar keinen Bezug zur Kirche haben, nehmen aber auch Gäste auf", freut sich der gebürtige Münchner.

Dass Berlin für die jungen Menschen gefährlich sein könnte, glaubt er trotz brennender Autos und U-Bahn-Überfällen nicht: "Man darf diese Vorfälle nicht verharmlosen, sollte aber nicht mit Ängsten darauf reagieren", findet er. Wenn man aus Frankreich komme, wo jede Nacht fast 20 Autos in Flammen aufgingen, käme einem Berlin relativ ruhig vor. "Wir warnen die jungen Leute aber vor Taschendieben. Außerdem soll niemand nachts alleine durch Berlin ziehen."

Im ruhigen Lankwitz haben Iva, Ana und Josip unterdessen ihre Gastgeberin Barbara Claßen (49) begrüßt. Die Mutter von vier Kindern erfüllte ihren Töchtern Lea (17) und Noa (14) den Wunsch, Plätze für das Taizé-Treffen bereitzustellen.

Der Platz im gemütlichen Einfamilienhaus der Claßens ist zwar auch nicht üppig, aber dadurch, dass die Söhne Jonas (6) und Timm (4) kurzerhand ins Elternschlafzimmer einquartiert wurden, wurde Platz für das Trio aus Zagreb geschaffen. Eigentlich wollten die Claßens nur zwei Gästen Quartier bieten. Doch als sie Josip sahen, der sonst alleine woanders untergebracht worden wäre, entschied Barbara Claßen spontan: "Klar kann er mitkommen."

Als Iva hört, dass beide Gasteltern Ärzte sind, freut sie sich sehr und fragt gleich: "Welche Fachrichtung?" Schließlich studiert sie Medizin in Zagreb und kann sich mit dem Ehepaar fachlich austauschen. Viel Zeit wird ihr dafür aber wohl nicht bleiben.

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Das Taizé-Programm, auch in den Messehallen unter dem Funkturm, ist mit Gesprächen, Beten und Singen eng. Am heutigen Donnerstag wird Iva bereits ab 8 Uhr in der nahen Gemeinde sein. Außerdem will sie auch Berlin mit dem Brandenburger Tor, dem Alex, dem Checkpoint Charlie, der Mauer an der Bernauer Straße und Potsdam mit den Schlössern kennenlernen – den Spirit der Stadt fühlen, wie sie sagt.

Bleibt also nur noch zu klären, wann im Haus der Familie Claßen gefrühstückt wird und vor allem, wer von wann bis wann ins Badezimmer darf. Auch das wird eine Familie mit vier Kindern locker in den Griff bekommen.

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