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Kirchliche Kliniken und Abtreibung Die Katholischeren

Eine Gruppe fundamentalistischer Katholiken schwärzte im Internet Gynäkologen kirchlicher Krankenhäuser in Köln an, die ihren Patientinnen die "Pille danach" geben ließen. Später wurden an den Kliniken mutmaßlich missbrauchte Frauen abgewiesen. Gibt es einen Zusammenhang?
St. Vinzenz-Hospital in Köln: Mutmaßliches Vergewaltigungsopfer abgewiesen

St. Vinzenz-Hospital in Köln: Mutmaßliches Vergewaltigungsopfer abgewiesen

Foto: Henning Kaiser/ dpa

"Laudetur Jesus Christus", sagt Eva Doppelbauer. "In aeternum, amen", werden viele ihrer Zuschauer im Geiste sagen. Doppelbauer ist eine Art Nachrichtensprecherin, ihr Web-Sender heißt Gloria.tv und bezeichnet sich als "katholische Kanzel im Internet". Nicht nur bei der Grußformel wird es Freunden der alten Liturgie warm ums Herz, auch die Auswahl und Kommentierung der Nachrichten von Gott und der Welt folgt einer erzkonservativen Haltung. "The more catholic the better", je katholischer, desto besser, lautet die Losung des Kanals.

Um den Katholizismus vor der Moderne zu schützen, schrecken die Macher - Priester aus der Schweiz und Österreich - auch vor öffentlicher Denunziation nicht zurück. Das zeigte sich unter anderem in der Sendung vom 3. Februar 2012: Doppelbauer berichtete von einer Undercover-Recherche, freilich nicht der eigenen: Lebensschützer hätten mit Hilfe einer "Testkaufagentur" geprüft, ob katholische Kliniken in Köln die "Pille danach" verschrieben. Die Abtreibungsgegner hatten sich demnach im Oktober 2011 mindestens vier Krankenhäuser vorgenommen, offenbar bat eine Frau jeweils um ein entsprechendes Rezept.

Die "Pille danach" verhindert eine Schwangerschaft, für die katholische Kirche ist das Teufelszeug. Also dürfen ihre Kliniken keine Rezepte ausgeben, egal in welcher Situation sich eine Patientin befindet. Und die getesteten Ärzte blieben offenbar ihrem Arbeitgeber treu: Keiner händigte der Testperson ein Rezept aus. Lobet den Herrn? Keinesfalls: Denn die Gynäkologen vermittelten die Frau an kassenärztliche Notfallpraxen weiter - und die befanden sich entweder auf dem Gelände oder sogar in den Gebäuden der katholischen Kliniken.

Abweisung einer 25-Jährigen

Also sprach Doppelbauer: "In katholischen Kliniken in Köln werden durchwegs Rezepte für die 'Pille danach' abgegeben." Sie nannte die Namen der Gynäkologen, die nicht einfach nur "nein" sagten, sondern der Testpatientin die Notfallpraxen empfahlen, wo Ärzte "aus dem Dunstkreis der Abtreiberfirma Pro Familia" arbeiteten, wie Doppelbauer es formulierte. Fazit des dreieinhalbminütigen Propagandastreifens: Es gebe Gynäkologen im kirchlichen Dienst, die sich "kaum mit der katholischen Morallehre identifizieren". Für die Prediger aus dem Internet ein Skandal, für die Kirche ein Problem.

Denn wenn es stimmt, was manche im Erzbistum Köln annehmen, könnte das Filmchen der Fundis am Anfang einer unheilvollen Entwicklung gestanden haben, an deren Ende Mediziner mutmaßlich missbrauchten Frauen die Behandlung versagten. Im Dezember 2012 wiesen Gynäkologen zweier Kölner Krankenhäuser - beide Kliniken befinden sich in Trägerschaft der katholischen Kirche - eine 25-Jährige ab, die vergewaltigt worden sein könnte. Der "Kölner Stadt-Anzeiger" und der WDR berichteten zudem von weiteren ähnlichen Vorgängen.

Die Leitung der Kliniken beteuert seither, es handele sich um bedauerliche Einzelfälle. Natürlich würden Frauen, die Opfer von Sexualdelikten geworden seien, in ihren Krankenhäusern "vollumfänglich versorgt", versichert der Sprecher der Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria, Christoph Leiden. Offenbar seien die jeweiligen Assistenzärzte, darunter eine junge Medizinerin im zweiten Weiterbildungsjahr, mit der Situation überfordert gewesen.

Die Notärztin, die sich zuerst um die 25-Jährige gekümmert hatte und sie weitervermitteln wollte, berichtet, die Gynäkologen in kirchlichen Diensten hätten sehr verunsichert gewirkt. Ausdruck dieses offenkundigen Klimas der Angst in den kirchlichen Kliniken sind auch Gerüchte, die in der Belegschaft kursieren. So erzählen sich Mediziner seit geraumer Zeit, dass Testpersonen unterwegs seien, um sich unter einem Vorwand die "Pille danach" verabreichen zu lassen. Zudem hieß es, eine Kollegin sei bereits entlassen worden, weil sie ein solches Medikament ausgegeben habe.

"Für uns überhaupt kein Anlass"

Hatte der Beitrag auf Gloria.tv das Geraune ausgelöst? Stiftungssprecher Leiden jedenfalls erinnert sich an "ein Gerücht", das "so im Februar 2012" aufgekommen sei. Es ging um die "Pille danach", um einen heimlichen Test. Er habe das "in den Bereich der Kolportage geschoben", sagt Leiden. Woher das Gerücht kam, wer es verbreitete, das wisse er ebenso wenig wie die Geschäftsführung. Den Film auf Gloria.tv habe er am Montagmorgen erstmals gesehen. Sicher aber sei: Das Getuschel und Gerede habe "zu einer Verunsicherung geführt".

Der "Kölner Stadt-Anzeiger" berichtete, die Ergebnisse des verdeckten Pillentests seien seinerzeit auch dem Erzbistum gemeldet worden. Anschließend habe die Klinikleitung unter Druck gestanden, sich in der heiklen Frage eindeutig zu positionieren. Stiftungssprecher Leiden weist das zurück: "Das war für uns überhaupt kein Anlass, das Thema aufzugreifen." Nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen wurde den Mitarbeitern jedoch in Personalgesprächen zuletzt noch einmal eingeschärft, auf keinen Fall sogenannte Kontrazeptiva auszugeben.

Zudem erkannte die Geschäftsführung der katholischen Kliniken offenbar grundsätzlichen Handlungsbedarf in der Frage, wie man mit Frauen umgehen soll, die sich eine "Pille danach" verschreiben lassen wollen. Eine Kommission unter dem Vorsitz der Leiterin der Stabsstelle Ethik, Sylvia Klauser, erarbeitete dazu ab Mai 2012 eine Stellungnahme.

In dem zweiseitigen Papier heißt es: "Die Mitarbeiter der Gynäkologischen Abteilungen und der Notfallambulanzen unserer Krankenhäuser stehen immer wieder vor der Frage, ob sie Patientinnen, die vermutlich Opfer eines Sexualdeliktes geworden sind, eine Notfallkontrazeption verabreichen dürfen." Jedoch müsse klar sein: "Die künstliche Verhütung einer potentiellen Schwangerschaft, auch nach einem vermuteten Sexualdelikt, ist (…) nicht gerechtfertigt und wird von der katholischen Kirche als schweres sittliches Vergehen gesehen."

Nutzlose Stellungnahme

Daraus folge, dass Patientinnen "nach bestem ärztlichen Ethos" umfassend versorgt werden sollten. Entscheide sich eine Frau dann autonom für die "Pille danach", müsse ihre weitere Behandlung bei einem anderen Arzt fortgesetzt werden. In jedem Fall habe das Klinikpersonal die Patientin "über alle weiteren Behandlungsmöglichkeiten" zu unterrichten, "damit sie selbst eine informierte und autonome Entscheidung treffen kann".

Wenn man hinnimmt, dass sich die Kirche der "Pille danach" verweigert, drückt die Stellungnahme das aus, was man von Ärzten verlangen kann. Das Abweisen von Patientinnen, egal in welcher Situation sie sich befinden, ist nach der Stellungnahme auf keinen Fall eine Option.

Am 7. November 2012 wurde das Papier beschlossen, anschließend ging es an die Chefärzte - und blieb offenbar dort. Stiftungssprecher Leiden räumt ein, die Kommunikation sei nicht gut gewesen. "Wir haben versäumt, alle darüber zu informieren."

Auch die Ärztinnen, die sich weigerten, sich der 25-Jährigen anzunehmen, waren wohl nicht im Bilde. In dieser Woche wollen sich Stiftung und Kliniken mit der Notärztin treffen, die die 25-Jährige weitervermitteln wollte.