Nur im Notfall Selbstbestimmung?

17. Mai 2013


Zum Beschluss des Deutschen Bundestages, die Rezeptpflicht der so genannten „Pille danach“ beizubehalten

Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP hat der Deutschen Bundestag beschlossen, dass die „Pille danach“ rezeptpflichtig bleibt. Die Opposition, die das „Notfall“-Medikament rezeptfrei stellen wollte, argumentierte zum einen mit der globalen Rechtslage. In 79 Staaten sei die „Pille danach“ ohne ärztliche Verabreichung in Apotheken erhältlich. Nun, in 93 Staaten gibt es die Todesstrafe. Diesem Argument folgend, müsste Deutschland auch hier „nachbessern“.

Interessant auch, dass die gleichen Politiker, die während der Beschneidungsdebatte nichts von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wissen wollten, sich nun auf die Empfehlung dieser Einrichtung beziehen, das Präparat aufgrund der „relativ guten Verträglichkeit“ freizugeben. Man habe noch nie von gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Einnahme der „Pille danach“ gehört, so denn auch die SPD-Fraktion. Die Risiken mögen, soweit es die Frau betrifft, in der Tat gering sein, ich bin kein Arzt und kenne auch keine Studien zu dem Präparat, zumal Langzeitstudien ohnehin noch nicht vorliegen (können). Bloß: Die „Pille danach“ hat auch eine abtreibende Wirkung, insoweit sie nicht nur den Zeitpunkt des Eisprungs zu verschieben, sondern auch die Einnistung der befruchteten Eizelle zu verhindern in der Lage ist. Dabei wird menschliches Leben an der Fortexistenz gehindert. Es mag „Pillen danach“ geben, deren Wirkstoffkombination diesen zweiten Fall, also die Tötung des Embryos, nicht „leistet“ (Stephan Ernst behauptet dies in Halbierte Hilfe?, Herder Korrespondenz 67, 3/2013, S. 129), doch im „Normalfall“ der „Notfall“-Medikation wird man gerade darauf achten, dass auch diese Möglichkeit, nämlich die einer abtreibenden Wirkung, besteht.

Diese mag für diejenigen, die eine Schwangerschaft mit der Einnistung beginnen lassen, kein Schwangerschaftsabbruch sein, insoweit eine so definierte Schwangerschaft eben noch nicht begonnen hat, doch ist das für das Recht auf Leben unerheblich. Erst, wenn der ungeborene Mensch im frühen Stadium seiner Entwicklung in den ethischen Überlegungen keine Rolle mehr spielen soll, kann man das Thema so angehen wie es von der Opposition angegangen wird: als Thema ausschließlich der Frau. Denn wenn das ungeborene Leben vor der Einnistung ohnehin keinen Wert hat, ist es egal, ob nun die Entstehung oder Entwicklung dieses Lebens verhindert wird.

Mit dieser Haltung stampfte man aber die derzeit geltende Rechts- und Spruchlage ein, man verkennt sowohl das Embryonenschutzgesetz von 1990 (§ 8 Abs 1: „Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an“) als auch einschlägige Urteile des BVG und des EuGH. Das Grundgesetz, das immer noch nicht abgeschafft wurde, gewährleistet das Lebensrecht jedem Menschen, „der ,lebt’; zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben kann hier kein Unterschied gemacht werden“ (so das BVG in einem Urteil vom 25.02.1975, AZ 1 BvF 1/74). Und der EuGH erkannte kürzlich: „Insofern ist jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an als „menschlicher Embryo“ […] anzusehen, da die Befruchtung geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen.“ (Urteil des EuGH vom 18.10.2011, AZ C-34/10).

Wenn der Entwicklungsprozess in Gang gesetzt wird, dann beendet jeder Eingriff, der zum Tod des menschlichen Embryos führt, menschliches Leben, das heißt konkret: einen Menschen in Entwicklung – und zwar in Entwicklung als Mensch, nicht „zum Menschen“. Daraus lässt sich ableiten, dass auf nationaler und auf europäischer Ebene nicht an würdelosen Vorstufen des Menschen gedacht wird, mit denen man beliebig verfahren könnte. Ein Medikament, das dazu führt, den Menschen in irgendeinem Stadium seiner Entwicklung zu töten, kann nicht gehandelt werden wie ein Traubenzuckerdrops.

Interessant ist auch, dass über den Begriff „Notfall“ hinweggegangen wird, so als sei der hier völlig zutreffend. Die Frage ist jedoch, ob ein plötzlicher Schicksalsschlag für die etwaige Schwangerschaft verantwortlich ist, ein Ereignis, dem man sich nicht entziehen kann, bei dem die Not wirklich fällt – oder aber das selbstbestimmte Handeln von Menschen. Lässt man Vergewaltigungen einmal außen vor, weil sie quantitativ eher selten den Notfall herbeiführen (der dann ein echter ist, den auch die Kirche als einen solchen betrachtet), dürften die überwiegenden Anwendungsfälle der Pille danach nicht aus „Not“, sondern aus einer selbstbestimmten menschlichen Entscheidungen erwachsen sein. Und man spricht ja seitens der Opposition von „sexueller Selbstbestimmung“. Doch gilt diese nur nach dem Geschlechtsverkehr etwas – vorher aber nicht? Ist es zu viel verlangt, im Rahmen der Entscheidung für den Geschlechtsakt Verantwortung zu erwarten, die über „Eigenverantwortung“ hinausgeht?

Sexualität gilt als der persönlichste Bereich des menschlichen Lebens und daher als Hort der Autonomie, in dem auch noch die subjektivste Moralität gerechtfertigt ist – Hauptsache, Du fühlst Dich gut dabei. Warum das jedoch so ist, ist schwer zu verstehen, weil gerade da – also beim Geschlechtsverkehr zwischen einem fortpflanzungsfähigen Mann und einer fortpflanzungsfähigen Frau – immer ein Dritter eine Rolle spielt: der möglicherweise durch den Geschlechtsakt entstehende neue Mensch. Hier von einem „Notfall“ zu sprechen, wenn sich diese wohlbekannte Möglichkeit zu realisieren „droht“, ist absurd. Man muss sich schon fragen, was eigentlich für ein Menschenbild hinter der Auffassung steht, die „Selbstbestimmung“ so sehr auf die Konsequenz einer Handlung eingrenzt und ihre Intention völlig außer Acht lässt, sowie es sich um eine Handlung im Rahmen der Geschlechtlichkeit handelt. Man ahnt es: das biologistische Bild des homo permanente sexualis. Traurig.

(Josef Bordat)

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