Labre
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"WENN DER HIMMEL BLASS WIRD ..." Überlegungen zum Zölibat, Teil 8, v. Kaplan A. Betschart

Was sagt die Geschichte zur Texveränderung der orthodoxen Kirche?

Es ist nicht uninteressant, kurz der Frage nachzugehen, wie denn die Geschichtsschreibung auf diese Geschichtsklitterung reagiert hat. Zunächst einmal lassen die Erklärungen der Kanonisten der orthodoxen Kirche etwa vom 14. Jahrhundert ab den Schluss zu, dass sie an der Richtigkeit, wie die trullanischen Väter mit den afrikanischen Kanones umgegangen sind, zweifelten und den unversehrten Text sehr wohl kannten. Als Beispiel nennt Kardinal Stickler den Kanonisten Matthaeus Blastares.
Die östlichen modernen Ausleger der Zölibatsbestimmungen des Trullanums geben das auch zu. Doch wenden sie ein gegenüber den berechtigten Fragen der Kirche des Westens, “dass das Konzil (Trullanum II) die Autorität hatte, jedes Disziplinargesetz zu ändern und den zeitgenössischen Bedürfnissen anzugleichen. Auf Grund dieser Autorität konnte es auch den ursprünglichen Sinn der Texte von Karthago ändern, so dass sie mit Ansicht und Willen des eigenen Konzils übereinstimmten” (Stickler).
Inzwischen wissen wir, dass der Zölibat kein Disziplinargesetz, sondern ein ius divinum - göttliches Recht ist und sich somit jeglicher menschlichen Verfügbarkeit entzieht.

“Unius uxoris vir - der Mann einer einzigen Frau”

In der heutigen Zölibatsdiskussion werden gerne aus den Paulusbriefen drei Stellen zitiert, die man als Argument gegen den Zölibat glaubt anwenden zu können. Sie seien kurz zitiert:

1. Timotheusbrief 3,2; 3,12 / Titusbrief 1,6 und 1. Korintherbrief 9,5:

Timotheus:

“Der Bischof aber soll untadelig sein, mit einer einzigen Frau verheiratet ... Er soll seinem eigenen Hause vorstehen und die Kinder in Zucht halten mit aller Ehrbarkeit (3,2) ... Die Diakone sollen mit einer einzigen Frau verheiratet sein, ihren Kindern und ihrem Hause in rechter Weise vorstehen” (3.12).

Titus:

“.. damit du das, was mangelt, in Ordnung bringest, und von Stadt zu Stadt Presbyteri (Vorsteher) bestellst, wie ich dich angewiesen habe: wenn einer untadelig ist, nur der Mann einer Frau ...” (Tit 1,5-6).

1. Korintherbrief 9,5:

“Haben wir nicht das Recht, eine Frau, eine Schwester (Reihenfolge gemäss Vulgata) mitzuführen, wie auch die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas?”

Zum 1. TIMOTHEUSBRIEF: “Ein Bischof aber soll untadelig sein ...” Zunächst wurde noch nicht streng unterschieden zwischen Bischof und Priester, wie das dann später geschah. Auf jeden Fall soll der zum Dienste für Gott Geweihte keinen echten Anlass zum Tadel, zur Herabsetzung bieten. Dazu gehörte auch, dass er nur der Mann einer einzigen Frau war. Sowohl bei den Heiden als auch bei den Juden standen alle, die sich ein einziges mal verheiratet hatten, in besonderen Ehren. Ein ganz grosses Gewicht legte man auf die eine Ehe bei den Priestern. Bei den ersten Christen herrschte ganz allgemein eine besondere Abneigung gegen eine zweite Ehe (vgl. Aug. Arndt SJ). Paulus meint hier auch keinesfalls die Bigamie, sondern eine zweite Ehe nach dem Tode der ersten Frau, wie aus 1 Tim 5,9 hervorgeht, wo es heisst: “Als Witwe werde gewählt, eine nicht unter sechzig Jahre alte, die nur eines Mannes Frau gewesen ist.”
Zum Verständnis dieses Pauluswortes muss beachtet werden, dass das Christentum im jüdischen Kulturraum entstanden ist. Hier galt es als nachteilig, ja als Schande, nicht verheiratet zu sein und keine Kinder zu haben. Dem Alten Testament war der Gedanke fremd, dass sich ein israelitischer Mann oder ein israelitisches Mädchen sich freiwillig der Ehe enthalten sollte. Die normale Situation für die Männer zur Zeit des beginnenden Christentums, die das Priestertum anstrebten war also die, dass sie verheiratet waren. Paulus geht in seinen Ermahnungen an Timotheus und an Titus von dieser Situation aus.
Die beiden heiligen Päpste Siricius (* um 334 in Rom; † 26. November 399) und Innozenz I. (regierte vom 21. Dezember 401 bis 12. März 417) haben immer wieder ausdrücklich betont, dass diese Schriftstelle im Hinblick auf die zukünftige Enthaltsamkeit der Empfänger der höheren Weihen zu verstehen sei - und so wurde sie auch in der apostolischen Zeit verstanden. Diese Auslegung der genannten Schriftstelle durch die Päpste ist dann auch von den Konzilien übernommen worden. Sie beinhaltet also konkret: Wer ein zweites Mal geheiratet hatte, bewies damit, dass er nicht enthaltsam leben konnte und deswegen für den höheren Klerikerstand nicht geeignet war, da er ja enthaltsam leben musste.
“So wird also diese Schriftstelle ein Beweis für die schon von den Aposteln verlangte Enthaltsamkeit und nicht für das Recht auf Ehe und Ehegebrauch dieser Kleriker. Diese Auslegung blieb lange lebendig. In den sogenannten “Glossa Ordinaria” (hrsg. von Johannes Teutonicus kurz nach 1215) werden vier Gründe angegeben, weshalb ein zweimal Verheirateter nicht zu einer höheren Weihe zugelassen werden durfte. Die ersten drei Gründe sind geistlicher Natur, während der vierte lautet, es sei ein Zeichen der Unenthaltsamkeit, “wenn jemand von einer Frau zu einer anderen übergegangen ist” (vgl. Stickler). So sind als gerade diese Schriftstellen “unius uxoris vir” ein Beweis für den Zölibat und nicht dagegen. Wir haben ja bereits gehört, dass Verheiratete mit höheren Weihen auf die Ehe verzichten mussten. Konnten sie dies nicht, wurden sie wieder aus dem Klerikerstand entlassen.
“Dass diese Auslegung des “unius uxoris vir”auch im Orient bekannt und angenommen war, bezeugt kein geringerer als der wohlunterrichtete Kirchengeschichtsschreiber Eusebius von Caesarea, der, wie schon erwähnt, auf dem Konzil von Nicäa anwesend war und als Arianerfreund eher für den Ehegebrauch der vorher verheirateten Priester hätte eintreten müssen. Er sagt aber ausdrücklich, dass beim Vergleich zwischen dem Priester des Alten und des Neuen Testamentes eine leibliche und eine geistige Zeugung einander gegenüberstehen und deswegen der Sinn des “unius uxoris vir” darin bestehe, dass die, welche geweiht und im Dienst und Kult Gottes beschäftigt sind, sich künftig geziemend vom Umgang mit ihrer Ehefrau enthalten sollen” (Stickler).
Im Brief an Titus (1,8) steht auch, dass der Presbyter “enthaltsam” sein soll; griechisch: ἐγκρατής. Dieser Begriff meint die geschlechtliche Enthaltsamkeit. Dies lässt sich belegen durch die folgende Stelle aus dem 1. Korintherbrief:

“Ich sage den Unverheirateten und den Verwitweten: es ist für sie gut, wenn sie so bleiben wie ich. Wenn sie aber nicht enthaltsam sind (ἐγκρατεύονται), so sollen sie heiraten; denn es ist besser zu heiraten als zu brennen” (7,8 f.).

Im 1. Korintherbrief 9,5:

“Haben wir nicht das Recht, eine Frau, eine Schwester mitzuführen, wie auch die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas?”

Hier sagt Paulus, dass auch er das Recht hätte, Frauen als Helferinnen bei sich zu haben, wie es die anderen Apostel, sogar die Brüder des Herrn (das sind Jakobus der Jüngere, Simon der Eiferer und Judas Thaddäus), die im Apostelkollegium ein besonderes Ansehen genossen, und selbst Petrus. Das wollen manche deuten, als ob dies auf die Ehefrauen der Apostel bezogen sei, was z. B. für Petrus stimmen könnte. Nach Kardinal Stickler gilt es jedoch zu beachten, dass Paulus nicht einfach das Wort γυναίκα gebraucht, was auch die Ehefrau bedeuten kann, aber nicht nur. Er fügt den Terminus ἀδελφήν bei, so dass ein Missverständnis nicht aufkommen kann. Nach Augustinus Arndt bedeutet hier ἀδελφήν “Christin”.
Die Deutung von Kardinal Stickler scheint jedoch stichhaltiger zu sein: “Wir können uns unschwer von dieser Tatsache überzeugen (dass hier Schwester gemeint ist), wenn wir bedenken, dass in der Folge gerade von den bedeutendsten kirchlichen Zeugen der Klerikerenthaltsamkeit immer wieder auf die frühere Ehefrau hingewiesen wird, die nach der Weihe des früheren Ehemannes soror, Schwester, genannt wird, wie überhaupt das Verhältnis der Eheleute nach der Weihe des Mannes als das zwischen Bruder und Schwester herrschende angesehen wird. So sagt Gregor d. Grosse: ‘Der Priester wird von der Zeit seiner Weihe ab seine Priesterin (d. h. die frühere Ehefrau) wie eine Schwester lieben.’
Das Konzil von Gerona (535) verfügte seinerseits: ‘Hat ein Priester und Diakon die Weihe zum göttlichen Dienst empfangen, wird er sofort aus dem Gemahl der Bruder seiner früheren Frau.’ Diese Ausdrucksweise findet sich in vielen Väter- und Konzilstexten” (Stickler). - So viel zur Geschichte des Zölibates in der Ostkirche.

Fortsetzung folgt