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Terrorwarnung: Kölner Dom an Heiligabend

Mit der Terrorwarnung gegen den Kölner Dom an Heiligabend ist eine Grenze überschritten, die wir sehr genau festhalten und beschreiben sollten. Die deutsche Zivilgesellschaft ist in ihrem Toleranzanspruch immer schon übergriffig, aber werden nun machiavellistische Instrumente des Schreckens eingesetzt? Das wäre heftig, das würde wirken, das würde ersticken, aber was?

In Gaza schlägt Netanjahu mit aller Gewalt die deutsche Staatsraison in Stücke. Das Abschlachten von Männern, Frauen, Kindern, und – nach alttestamentarischem Reglement müsste auch noch das Vieh getötet werden ... Joshua hat damals vor Jericho sich nicht an diese Regel gehalten, und war dank Rahab erfolgreich. Wie Netanjahu aus der „Jerichofalle“ herauskommen will, ist wohl auch ihm unklar. Aber was mich mehr bewegt: mit Gaza ist die Legitimität der deutsche Staatsraison mehr als beschädigt. Was kommt? Einer wird die Stimme erheben müssen. Rainer Maria Kardinal Woelki hätte die Stimme und, anders als Marx in München, auch das Vermögen. Vielleicht ist, wie einst die Silvesternacht, die Terrorwarnung ganz direkt an Woelki gerichtet, seine Stimme nicht zu erheben, zu schweigen. Hier eine Beschreibung der Ereignisse und ihrer Wirkungen:

„Ich schreibe diesen Text, weil mein Mann mich darum gebeten hat. Er weiß, dass ich schreiben kann. Ich weiß, dass ich diesen Text nicht schreiben kann. Vielleicht will ich ihn auch gar nicht erst schreiben. Denn er ist schwer.
Was weiß denn ich? Genauso wenig wie wir alle: Hat der Staat nun ein Attentat auf den Kölner Dom verhindert? Oder hat der Staat einen willkommenen Anlass gefunden, der hinreicht, uns das Schauspiel eines verhinderten Attentates vorzuspielen? Hat der Staat mit uns gespielt? Mit der Kirche gespielt? Oder doch uns gerettet aus großer Not? Ich weiß, dass ich diesen Text nicht schreiben kann. Denn: Was weiß denn ich.
Der Reihe nach. Es ist Heiligabend 2023. Den Plan, in die Christmette in den Kölner Dom zu gehen, haben wir schon vor Wochen zu den Träumen gelegt. Die Messe beginnt um Mitternacht, sie endet um 2 Uhr – und wir haben vom 1. Weihnachtsfeiertag an die klassische Familienrundreise vor. Und im Gegensatz zu früher: Unsere Eltern – sie leben noch alle vier – sind sehr alt. Wir werden die Weihnachtsrundreise antreten – und wir werden die Mitternachtsmesse in Köln nicht schaffen. Denn jung sind wir auch nicht mehr.
Unsere Christmette beginnt anderswo um 18 Uhr. Die Nachricht, dass der Kölner Dom am Abend zuvor, dem 23.12.2023, mit Spürhunden durchsucht wurde, schleicht sich in den Nachmittag. Der Tannenbaum ist geschmückt, die Geschenke liegen zur Bescherung bereit, die Nachbarn werden noch schnell mit Kleinigkeiten und Gesang erfreut – aber dazwischen liegt nun eben die Nachricht, dass der Kölner Dom von Hunden nach Sprengstoff durchsucht wurde.
Es schüttelt mich. Hunde im Dom. Das kann nicht richtig sein, auch wenn mir die Begründung dafür fehlt. Hunde sind mir fremd. Das ist aber nicht der Grund. Hunde gehören nicht in den Dom. Aber wer wird diesen Satz von mir ernst nehmen? In dieser unserer Zeit und angesichts einer solchen Bedrohung. Gott sei Dank, mein Mann nimmt sie ernst. Und kann sie auch begründen. Er sagt: Hunde sind unrein, sagen die Orthodoxen. Nun wäre mir ein solcher Satz eigentlich auch fremd. Aber es sind Worte, die auf mein Gefühl passen und die es in Worte fassen.
Es schüttelt mich die Erinnerung. Josephine Witt auf dem Altar. Das war vor genau zehn Jahren. Am zweiten Weihnachtstag 2013. Da feiern die Hunde also nun ein Wittsches Jubiläum. Es schüttelt mich die Erinnerung, ich saß in dieser Messe mit gutem Blick auf den Altar. Die Nachricht von der nackten Witt, die aus der ersten Reihe heraus den Altar in der Weihnachtsmesse gestürmt hatte, quasi als Geburtstagsgeschenk für Joachim Kardinal Meisner, – sie war noch vor Ende dieser Messe online. Der Text der Nachricht, so ist es sehr wahrscheinlich, war in den Grundzügen schon vorbereitet. Gewiss aber ist: Dass es eine solche Nachricht geben würde, war den Medien bekannt. Denn was sonst will der Expressfotograf in der Messe am zweiten Weihnachtstag? Sein Ort wäre ja klassischerweise eher die Christmette gewesen.
Auch der Text für diesen Nachmittag, Heiligabend 2023, war sozusagen vorbereitet. Am Nachmittag wurde nur eine Kurzfassung verkündet: Spürhunde im Dom haben keinen Sprengstoff gefunden. Dass die Hunde am 23. Dezember, nach Ausklang der letzten Messe, fünf Stunden den Dom durchsucht haben – das stand nicht in dieser ersten Kurzfassung. Die Nachrichten kommen ab jetzt tropfenweise. Europäische Großstädte heißt es, Terrornetz, Anschläge geplant, Wien, Madrid, Köln.
Die Kölner werden beruhigt: Der „Gefahrenhinweis“ gelte eigentlich der Silvestermesse. Zu unserer aller Sicherheit würden aber ab nun alle Messen überwacht, die Besucher überprüft. Zur Sicherheit informiere ich die Besucher, von denen ich weiß, dass sie um Mitternacht in den Dom gehen werden: Lasst Eure Handtaschen zuhause und steckt Euren Personalausweis ein.
Wir singen bei den Nachbarn. Will ich noch in die Christmette? Wenn die Kirchen von Hunden durchsucht werden? Nach dem Auftritt von Josephine Witt auf dem Altar in der Weihnachtsmesse 2013 habe ich Monate gebraucht, um nicht zusammenzuzucken, wenn von irgendeiner Kirchenbank irgendjemandem das Gebetbuch auf den Boden fiel. Im Dom ist das laut. Ich habe Monate gebraucht, bis ich wieder zur Kommunionbank gehen konnte, ohne dass die Ohren auf Überwachung eingestellt waren. Noch einmal will ich nicht so zentral und emotional getroffen und erschrocken werden wie in dieser Weihnachtsmesse im Jahre 2013.
Die Nachricht von den Hunden ist nicht erschreckend. Sie ist nur unangenehm. Nein – sie ist zu unser aller Schutz: Kein Sprengstoff im Dom. Gute Nachricht. Oder?
Ich denke darüber nach, die Christmette in diesem Jahr ausfallen zu lassen. Die machen mir mein Zuhause kaputt und ich neige zum Trotz. Trotzdem gehe ich. An der Seite meines Mannes, der sein Erschrecken besser mit dem Kopf bearbeiten kann als ich. Wenn schon Trotz, dann auch in die richtige Richtung. Und: Gott sei Dank bin ich in der Christmette um 18 Uhr auch am richtigen Ort.
Die Lesung kenne ich. Die Ohren schalten aus. Die innere Stimme verschafft sich Gehör. Sie allein will gehört werden: Was heißt das denn nun? Wer will uns die Kirche wegnehmen? Bislang war es meine Einschätzung gewesen, dass die Kirchen in Deutschland auf die Furcht vor Attentaten verpflichtet werden sollen – auch wenn die Gefahr eher gering ist. Warum sollte der Islam die Kirchen angreifen? Er wird es nicht tun in einer Gesellschaft, in der die Kirche von der Öffentlichkeit marginalisiert, in die Ecke gedrängt, verspottet, getreten und auf links gekehrt wird. Er wird es nicht tun, in einer Kirche, die mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert ist – und in beide Richtungen keine Antworten hat. Er wird es nicht tun: Die Kirche in unserer Gesellschaft ist machtlos. Es macht keinen Sinn, die Machtlosen anzugreifen. Er wird unsere Kirchen nicht angreifen, das besorgen wir ja ganz hervorragend selbst.
Nein, ein Attentat auf eine Kirche oder gar den Dom in Deutschland hielt ich zwar nie für völlig ausgeschlossen – aber auf gar keinen Fall für eine unmittelbare Bedrohung. Wer einen Gegner – wer auch immer er sei – angreifen will, zielt auf die Mitte auf das Herz. Die Kirche ist bei uns weder Mitte, noch Herz.
Christmette, 2023. 18 Uhr irgendwas. Die Lesung ist gelesen. Ich habe sie kaum gehört. Glück gehabt, ich kenn ja den Text. Nach der Messe wird es Kartoffelsalat mit Würstchen geben. Erst am Weihnachtstag wird groß gekocht. Vielleicht sollte ich meine Würstchen durch Hering ersetzen. Mir ist so danach. Auch ohne Kater völlig verkatert. Und ich habe noch mehr Glück. Der Pastor versteht es, das Evangelium so zu lesen, dass der Hering im Kühlschrank noch warten kann. Seine Predigt, sie lässt uns sogar auflachen. Wie gut es mir tut, zu lachen.
Gottes Sohn, oh wie lacht – ja, wir nehmen das Lachen mit bis an das Ende des Gottesdienstes. Der Pastor hatte sich entlang verschiedener Versprecher gepredigt. Ganz hervorragend. Nur Gottes Sohn Owi – diesen Versprecher hatte er voller Respekt ausgelassen. Dennoch ist Gottes Sohn Owi an unserer Seite, als wir die Messe mit Stiller Nacht beenden. Und ja: Auch dieses Lächeln hilft weiter. Nur weil es ein Lächeln ist. Und nur weil wir alle die Texte kennen. Und nur weil keiner diesen Witz auszusprechen braucht – und jeder ihn weiß. Albern. Aber angesichts von Spürhunden im Kölner Dom ist mir der lachende Gottessohn Owi eine hilfreiche Erleichterung.
Frohe Weihnachten nach hier und nach da. Herzlich und schnell. Wir müssen weiter. Ach, wie ist mir dieser Vorwand recht. Und tatsächlich: Die Bescherung – nach dem Kartoffelsalat ohne Hering – lässt mich alles vergessen. Friede den Menschen auf Erden. Zumindest hier und jetzt in meinem Wohnzimmer. Doch dann kommt die Zeit der Stille. Und das ist nicht die stille Nacht. Das Unwohlsein kommt zurück.
Ich will wissen, wer kirchlicherseits was gesagt hat. Ich will hören, wer was gesagt hat. Es war ja schon nachmittags ein Gottesdienst im Dom. Da muss doch was gesagt worden sein. Meine Familie lächelt müde über mich. Es ist ja zu ahnen, was gesagt worden ist. Ja und Amen wird gesagt worden sein. Trotzdem: Der Trotz ist auch meine Stärke – und ich will wissen, was zu den mutmaßlichen Hinweisen auf Anschläge im Dom, was zu den Polizisten und was zu den Hunden gesagt worden ist. Ich bin trotzig, ja – und meine Familie kann mich mal links liegen lassen. Tut sie auch. Sie kennt mich.
Forschungsergebnis recht schnell: Das Domradio hat die Familienmesse vom Nachmittag des Heiligen Abend längst online gestellt. Domdechant Robert Kleine betont dort bei der Begrüßung gelassen und auch erfreut, dass die Polizei uns in dieser Messe beschützt.
Ich bin enttäuscht. Denn kein Zwiespalt, kein Aber, kein Zweifel ist zwischen den Lippen und den Worten des Domdechanten hervorgedrungen. Wir danken der Polizei für die Bewachung. Und vor allem dafür, dass sie ihre Familien an Weihnachten allein lassen für uns.
Ja. Er hat recht. Und ich bin enttäuscht. Da schwang nicht die geringste Sorge, nicht der geringste Verdacht und auch keine Furcht in seinen Worten mit.
Was ist das denn?
Schnell wird mir, vielleicht nach einem Schluck Wein und etwas Gelassenheit, klar: In der Familienmesse am Nachmittag im Kölner Dom kann Dechant Robert Kleine nur gut daran tun, weder Zweifel noch Sorge durchklingen zu lassen. Es ist der Ort, wo auch die Kinder Weihnachten feiern. Und ja: Es soll ihnen ein schönes, ein feierliches, ein klingendes, ein sorgenfreies Fest sein, bevor – oder während – das Christkind und oder der Weihnachtsmann in ihren Wohnzimmern die Geschenke ausbreitet. Aber ja: Domdechant Robert Kleine sitzt in der Familienmesse in der Falle: Was bitteschön soll er durch- oder anklingen lassen? Zumal alles, was durchklingt, gern auch tüchtig klingelt und interpretiert wird. Und dann hätte er am Ende Dinge gesagt, die er gar nicht sagen wollte. Nein, Robert Kleine kann nur eine klare und unmissverständliche Botschaft zur Begrüßung rausgeben: Den Polizisten sei Dank.
Ja, das verstehe ich. Mein Unwohlsein wird dadurch nicht kleiner: Weder Erzbischof noch Domkapitel werden Zweifel verlautbaren können – und weder Erzbischof noch Domkapitel hätten den Einsatz von Polizei und Spürhunden verhindern können, selbst wenn sie es gewollt hätten. Eine Nachricht, dass das Kölner Domkapitel den Einsatz von Polizei zur Suche von Sprengstoff zur Sicherheit der Gottesdienstbesucher verhindert habe, ist ja undenkbar. Denkbar ist vielleicht, dass die Polizei ihren Einsatz aus ganz anderen Motiven als benannt höher dreht, als es nottut. Vielleicht kann man auch noch denken, dass die Polizei am Heiligen Abend diesen Auftritt absolviert, um für Silvester ein Zeichen zu setzen. Oder den Ernstfall zu proben. Dass aber die Polizei dieses Aufgebot geradezu ohne Anlass inszeniert: Auch das ist undenkbar. Oder?
Die Nacht ist still, die Fragen sind unerhört – und für den klaren Kopf ist es erheblich zu spät. Oder?
Es wird etwas gewesen sein. Wir können es ja sogar lesen. Eine Festnahme im Saarland. Und zu diesem Zeitpunkt heißt es: Sie wissen noch nicht, ob sie diesen Mann für länger festhalten wollen oder können und wenn ja, warum. Kein Witz: Die erste Nachricht dieser Festnahme war mit all diesen Zweifeln ausgestattet – die auch in der Presse redlich wiedergegeben wurden. Festnahmen in Wien – ja. Aber war das noch am Heiligen Abend? Oder schon am nächsten Tag? Der Mann aus dem Saarland jedenfalls, von ihm kündete die Presse am ersten Tag: Festgenommen. Keine Begründung. Nur die Frage, als ob sie sich ans uns richte, mit welchem Grund man diesen Mann länger festhalten würde können sollen.
Ja. Herr Kleine, das mit der Familienmesse im Dom haben Sie bestimmt richtig gemacht. Für die Familien. Für die Kinder. Aber ich vor meinem Laptop bin jetzt etwas allein, die Nacht ist zwar still, aber ausgesprochen dunkel. Meine Familie, die das Thema Terror mehr intellektuell als emotional angeht, verfügt sich zu Bett. Die Nacht wird mir zur Unruhe.
Vor dem Laptop warte ich auf die Worte des Kardinals. Irgendwann zu Beginn der Christmette wird er auf die aktuelle Situation eingehen müssen. Er tut es. Mehrmals dankt der den Gottesdienstbesuchern, dass sie so zahlreich erschienen sind – und seine Stimme bebt. Doch er hält sich – und seine Stimme – gefasst und verweist auf das, was hier und jetzt in Würde gefeiert werden soll: die Geburt des Sohnes Gottes. Er verkündet sie – und er stellt alles andere hintan. Und für diesen Moment steht auch alles andere hintan: Es ist Weihnachten.
Und doch: Ausweichen will der Erzbischof nicht. Er kommt noch auf die jetzige Situation zu sprechen – und dass die Besucher so zahlreich erschienen sind, bewegt ihn sichtlich, er sagt es mehrfach. Der Dom ist proppenvoll. Dann spricht er über die aktuelle Lage – und nennt noch vor dem Terror den Krieg. Und auch damit tut er recht. Denn es ist der Krieg, der den Menschen unermesslichen Schaden zufügt. Erst danach ist die Terrorwarnung sein Thema: Woelki dankt den Polizisten und Polizistinnen von ganzem Herzen, denn die meisten von ihnen würden jetzt eigentlich bei ihren Familien sein.
Die Kamera schwenkt. Zwei Polizistinnen in Uniform im Bild. Keine Waffen zu sehen – zu ahnen aber wohl. Viel mehr Uniform als Mensch. Die beiden Polizistinnen wissen sich nicht im Bild. Ernste Gesichter.
Ja, so ist das wohl, wenn die Messe von der Polizei überwacht wird. Ein seltsames Gefühl. Es ist spät. Ich sitze am Laptop und gehöre ins Bett. Wir haben eine Weihnachts-Eltern-Norddeutschlandreise geplant. Die Nacht ist unerhört still. Noch nie habe ich Kardinal Woelki so besorgt, ergriffen, zugleich aber auch gefestigt – und vor allem: ehrlich – erlebt. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, ich sehe auch den Menschen, der sich hinter Amt, Titel und Kirche verbirgt. Es ist ein Mensch, der um seine Rolle weiß. Ja, aber er hat genau die richtigen Worte gefunden. Sie wurden ihm nicht vorgeschrieben. Vielleicht gab es Stichworte. Aber er sprach sie mit seinen Worten – und sie waren echt.
Die Nacht ist wirklich ausgesprochen still – und vielleicht werde ich ja doch schlafen können.
Am nächsten Morgen erwacht die Journalistin in mir. Ich frühstücke noch mit Anstand, Familie, Stuten und Ei. Aber dann: Was war in Wien? Was war in Madrid?
Was in Wien war, werden Sie ebenfalls verfolgt haben, Festnahmen, Polizei vor dem Stephansdom usw. Doch was in Madrid war – das wissen Sie auch nicht, richtig? Nichts zu finden im deutschsprachigen Internet. Nichts zu finden auf Gloria.tv. Auch nicht in der spanischen Ausgabe. Hilft nur: mit Lexikon auf Spanisch googeln. Die Christmette ist die Missa de Gallo. Das hilft beim Suchen. Und die Missa de Gallo, so die Nebenerkenntnis muss rechtzeitig vor dem Hahnenschrei beginnen – also um fünf vor 12. Gut, damit ist auch das geklärt. Hätte ich sonst nicht gewusst. Man lernt ja dazu. Aber: kein Hinweis auf irgendeine Terrorgefahr. Das kann doch nicht sein? Ich suche so lange, bis ich finde. Euronews (Sitz Lyon) sind es schließlich, die darauf verweisen, dass die Bild-Zeitung in Deutschland berichtet habe, dass auch Hinweise auf eine Terrorgefahr für Madrid vorlägen (tatsächlich hatte das in nahezu allen Berichten in Deutschland gestanden). Und die spanische Ausgabe des Deutschlandfunks berichtete, dass die deutsche Presse berichtet habe, dass usw.
An dieser Stelle wird es komisch. Mir wird klar: Eine Nachricht in den spanischen Medien über ein mögliches Attentat auf die Kathedrale in Madrid werde ich nicht finden …
Es folgt die familiäre Weihnachtsreise. Keine Zeit für Nachrichten. Und nicht jede Familiensituation ist leicht ins Fröhliche zu wenden. Das was schwer ist, bleibt schwer. Mag das Singen helfen.
Rückfahrt, zweiter Weihnachtstag. Kurz vor Köln wache ich auf und besinne mich auf meine journalistische Neugier. In Wesel wurde ein Mann festgenommen. (Und auch noch andere Menschen, die schon wieder frei sind). Ein 30-jähriger Tadschike. Zusammenhang mit Wien und Köln. Keine Begründung. Ja, natürlich. Ermittlungstaktische Gründe schreiben dann die Journalisten gerne. Genauer gesagt: Diese Worte werden den Journalisten gerne vorgeschrieben. Und sie schreiben dann gerne nach. Doch jetzt: Keine Begründung, kein Verweis auf Ermittlungstaktik.
Gut – jetzt kann vielleicht noch ein Überblick weiterhelfen. Nachrichtentechnisch betrachtet. Laut lese ich der Familie im Auto die Überschriften deutscher Medien vor, wie sie seit Heiligabend online sind. Die Spaltung ist wieder komisch: Zwei oder drei Medien stellen in den Mittelpunkt, dass die Durchsuchung des Doms kein Ergebnis hatte. Ja. Das ist richtig. Und wunderbar lapidar formuliert. Denn alle anderen Medien stellen, mehr oder weniger, je nach Lager, die Bedrohung in den Vordergrund. Manchmal auch die abgewendete Gefahr.
Stunden später die nächst Info: Der Tadschike, der in Wesel festgenommen wurde, ist derselbe Mann, der im Saarland festgenommen worden war, der aber wieder hatte freigelassen werden müssen.
Fast verspüre ich Erleichterung: Da ist ja tatsächlich so etwas wie ein Zusammenhang. Aber mehr noch sprudelt der Zynismus in mir hoch. Die Polizei kann einen Erfolg vorweisen. Ist das nun die Absicht oder das Ergebnis? Kann ich das glauben? Natürlich kann die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen nichts weiter sagen. Und ich kann nichts weiter glauben. Es sträubt sich auch alles in mir, etwas zu glauben, was ich nicht wissen kann.
Am nächsten Tag steht die nächste Nachricht in der Zeitung: Der Dom wird bis ins nächste Jahr für Touristen geschlossen. Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ist eigentlich eine touristische Hoch-Zeit. Jetzt aber werden nur noch die Messen gefeiert – und beichten können wir auch. Unter Polizeischutz. Das ist doch was. In der anderen Zeit bleibt der Dom geschlossen. Dass das Domkapitel einen Weihnachtsmarktstand aufgestellt hat, damit wir unsere Kerzchen auch weiter anzünden können, ist so rührend wie hilflos.
Schlimm aber ist: Die Sachlage bleibt unklar. Es bleibt eine Glaubensfrage, ob ich den Nachrichten, die die Polizei nach und nach herausgibt (oder auch nur tröpfchenweise herausgeben kann) vertrauen will oder kann. Es bleibt eine Glaubensfrage, mit welchen Sätzen ich die wenigen Nachrichten, die herausgegeben werden, so zusammenbiege, dass sie glaubbar werden.
Noch schlimmer aber ist: Die Kirchenräume sind dem Zugriff der Polizei und/oder des Terrors nicht mehr entzogen. Unerheblich, wie die Wahrheit hinter dem „Gefahrenhinweis“ wirklich gedeutet werden muss und ausgesehen hat. Unerheblich, wer warum den Terror oder die Gefahr des Terrors in diesen Kirchenraum (und damit auch alle anderen Kirchenräume) getragen hat. Die Kirche ist dem Zugriff der Polizei nicht mehr entzogen.

Und wenn morgen ein Gebetbuch aus der Kirchenbank fällt, in der Sie sitzen, werden auch Sie vielleicht im ersten Moment mehr erschrecken, als es nottut. Denn manchmal hört sich ein herunterfallendes Gebetbuch an, als sei eine Tür endgültig ins Schloss gefallen.

(Nachtrag: Ja: Ich habe Nujaas Nachschlag gelesen. Diese Form des Polizeischutzes ist für viele Juden in den Synagogen seit vielen Jahrzehnten Alltag. Und nein: Das macht es mir nicht leichter, diese wenigen Tage, von denen Sie dabei sprechen, wortlos zu dulden: Es wird nicht bei diesen wenigen Tagen bleiben. Die Messe wird kein Schutzraum mehr sein, wenn Polizisten wachend zur Seite stehen. Ja, ich kann dann dennoch beten und singen. Sogar laut und unbefangen. Aber ich kann mich dann eben nicht mehr unbefangen nach innen wenden. Denn mindestens ein Ohr wird immer wachsam bleiben und prüfen, ob es wieder nur das Gebetbuch war, das diesen oder jenen Krach verursacht hat.)“
elisabethvonthüringen
Wegen hohem Risiko eines islamistischen Terrorangriffs: Massiver Polizeischutz für Kölner Dom
Zur Jahresabschlussmesse im Kölner Dom mussten die Gläubigen durch eine aufwändige Sicherheitsschleuse – Erste Frage mancher Einheimischen am Neujahrsmorgen: „Steht der Dom noch?“Mehr
Wegen hohem Risiko eines islamistischen Terrorangriffs: Massiver Polizeischutz für Kölner Dom

Zur Jahresabschlussmesse im Kölner Dom mussten die Gläubigen durch eine aufwändige Sicherheitsschleuse – Erste Frage mancher Einheimischen am Neujahrsmorgen: „Steht der Dom noch?“
nujaas Nachschlag
Es tut mir Leid, daß man Ihnen die Sicherheit genommen hat. Dagegen kann nur helfen »Fürchtet euch nicht
Sie haben mich an meine dieses Jahr verstorbene Mutter erinnert, die nach dem Attentat auf die heiteren Spiele von München meinte, vielleicht kann man so nicht feiern und nicht sich so sicher fühlen, solange es so viele gibt, die davon ausgeschlossen sind. Sie meinte natürlich nicht, daß …Mehr
Es tut mir Leid, daß man Ihnen die Sicherheit genommen hat. Dagegen kann nur helfen »Fürchtet euch nicht
Sie haben mich an meine dieses Jahr verstorbene Mutter erinnert, die nach dem Attentat auf die heiteren Spiele von München meinte, vielleicht kann man so nicht feiern und nicht sich so sicher fühlen, solange es so viele gibt, die davon ausgeschlossen sind. Sie meinte natürlich nicht, daß Feste nicht zu feiern sind, und auch der Kölner Dom ist uns Heimat, aber ich glaube seit München, daß Sicherheit vor der ewigen Heimat eine Illusion ist und auch schon immer war.
elisabethvonthüringen
In den sozialen Medien kursierten Bemerkungen im Sinne von: ‚Erst durften die Flüchtlinge zu uns ohne Pass über die Grenzen kommen, nun müssen wir den Ausweis vorlegen, wenn wir im Kölner Dom die Messe mitfeiern wollen.‘
Norbert Kasper
Bald werden wir alles verbarrikadieren müssen, einschließlich uns selbst. Dann wäre nur noch zu hoffen, das die Polizei endlich putscht, dann wären die Politiker auf privaten Wachdienst angewiesen. Wielange die sich einer solchen Gefahr aussetzen ist noch offen. Am Ende bleibt ihnen nur noch die Flucht. Flucht vor den Früchten, die sie selbst gesäht haben.
Tina 13
Wacht auf 🙏🙏🙏
Guntherus de Thuringia
"israelische Verhältnisse auch hierzulande"... Interessant. Warum israelische Verhältnisse in Deutschland und nicht deutsche Verhältnisse?
Guntherus de Thuringia
Als in Deutschland deutsche Verhältnisse herrschten, standen die Kirchen Tag und Nacht offen.
Joannes Baptista teilt das
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Kölner Dom künftig für Touristen geschlossen - wozu Terrorwarnungen dienen dürfen. Israelische Verhältnisse also auch nun hierzulande.
Norbert Kasper
Das Abschlachten des Viehs ist für die Erfüllung des Amalek-Gesetzes unbedingt von Nöten. Das können ja die deutschen Soldaten mitbringen, die unsere Staatsräson im Nahen Osten erfüllen.