"Warum definieren wir unentwegt und schaffen damit verengte Dogmen in einer Wirklichkeit, die doch lebendig und bewegt ist und jede Definition immer schon überholt hat, bevor sie ausgesprochen wurde?
Aber wohlgemerkt: ich rede nicht der Vagheit das Wort, sondern der Intuition für die gesetzten, gegebenen Grenzen, die man leicht erkennt, wenn man ihnen gelassen begegnet. Durch Ent-Grenzung der …Mehr
"Warum definieren wir unentwegt und schaffen damit verengte Dogmen in einer Wirklichkeit, die doch lebendig und bewegt ist und jede Definition immer schon überholt hat, bevor sie ausgesprochen wurde?

Aber wohlgemerkt: ich rede nicht der Vagheit das Wort, sondern der Intuition für die gesetzten, gegebenen Grenzen, die man leicht erkennt, wenn man ihnen gelassen begegnet. Durch Ent-Grenzung der gegebenen Unterscheidungen (de-finitio) werde ich es niemals schaffen, irgendetwas einzufangen oder ab-zu-grenzen. Ich schaffe nur Trugwelten, die dem Herzen ewig fremdbleiben müssen.Daher ist immer wieder zu fragen, wieso die Kirche glaubte, den lebendigen Geist Gottes definieren zu müssen und Lehrsätze aufstellen zu müssen (Dogmen), die sich wie eiserne Höllentore vor das wirkliche Wirken Gottes schoben, wie der Stein vor das Grab Jesu. Man hat die Gläubigen in diesem Grab eingesperrt und lässt sie dort bei Popanz und Kerzenschein Rosenkränze beten und bläst ihnen ein, das seien halt "Mysterien", die der Verstand nun mal nicht erkennen könne. Glauben tut von den so Inhaftierten keiner auch nur, was unter den Fingernagel geht. Sie treten geistlich auf der Stelle. Nicht besser sieht es mit con-fessiones und anderen De-Finitionen aus, Entgrenzungen hinein in die Sklaverei überbordender Re-finitionen (Wieder-Begrenzungen), die als Trugbild der Wirklichkeit entgegengesetzt werden.
Aus dieser kirchlichen Tradition stammt das gesamte abendländische Dilemma, hat die Wissenschaft besetzt und den Geist getötet. Die freie Geisteswissenschaft ist verunmöglicht worden, dafür alles, was mit starren Apparaten, Mechanik und Funktionalismus zu tun hat, als idealistisch aufgefasstes Dogma in die Köpfe gesetzt worden."

Quelle: Definitionswut und Tucholskys Traktat über den Hund von 1929

Definitionswut und Tucholskys Traktat über den Hund von 1929

Der Traktat über den Hund (1929) von Kurt Tucholsky führt uns die Definitionswut unserer Tage infolge einer unseligen abendländischen Tradition …
michael7
Hier liegt wohl ein Missverständnis vor. Die Kirche hat nicht aus "Definitionswut" ihren Glauben definiert, sondern um Verfälschungen des ihr anvertrauten Evangeliums zurückzuweisen.
Oenipontanus
Naja, gebracht scheint's nicht viel zu haben, da dieses definitorische Jonglieren mit Abstraktbegriffen (vor allem nach Chalkedon) nur zu neuen Spaltungen und gräulichen Begriffsverwirrungen geführt hat. So wurde letztlich die Klarheit, die man mithilfe der Definition schaffen wollte, durch dieselbe Definition getrübt oder gar zunichte gemacht.
Im Übrigen muss man schon sehr viele sophistische …Mehr
Naja, gebracht scheint's nicht viel zu haben, da dieses definitorische Jonglieren mit Abstraktbegriffen (vor allem nach Chalkedon) nur zu neuen Spaltungen und gräulichen Begriffsverwirrungen geführt hat. So wurde letztlich die Klarheit, die man mithilfe der Definition schaffen wollte, durch dieselbe Definition getrübt oder gar zunichte gemacht.

Im Übrigen muss man schon sehr viele sophistische Kunstkniffe aufbieten, um konziliare oder päpstliche Glaubensdefinitionen mit dem Evangelium in Einklang bringen zu können.
Erich Christian Fastenmeier
Danke fürs Verlinken.
Oenipontanus
Gerne!